Arbeiterinnen in einer Fabrik

Arbeiterinnen und die Industrialisierung Bayerns

Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein standen Arbeiterinnen nicht nur zehn, elf Stunden pro Tag an den Maschinen der Fabriken. Sie trugen zusätzlich noch die ganze Last der Hausarbeit und der Versorgung ihrer Kinder.

Bis zum Umfallen 

„Ich gehe Tag für Tag an meine Arbeit, seitdem ich von der Schule entlassen bin. Ich musste auch schon vorher fest zu Hause mithelfen, weil wir viele Geschwister sind, und da kommt mir das Arbeiten nicht mehr hart an, weil ich es schon gewöhnt bin.“ Diese Aussage einer 18-jährigen hielt die in Niederbayern geborene Sozialwissenschaftlerin Rosa Kempf 1911 in ihrer Doktorarbeit über junge Münchner Fabrikarbeiterinnen fest. Nicht nur das Thema, das die Aktivistin und Frauenrechtlerin wählte, war für diese Zeit überraschend. Ungewöhnlich war auch die Art und Weise, in der Rosa Kempf ihre Forschungen betrieb: Sie betrachtete ihr Thema nicht nur von außen und führte Befragungen durch. Sie arbeitete auch selbst je eine Woche in einer Holz- und einer Textilfabrik. Was sie beobachtete, war weit mehr als eine momentane Bestandsaufnahme: Die von Rosa Kempf beschriebene Sachlage herrschte in den Fabriken Altbayerns, Schwabens und Frankens seit mindestens 60 Jahren. 

Zu Hilfstätigkeiten verdammt

Als um 1840 in Bayern langsam die Industrialisierung einsetzte, sah dies zunächst nach einer einzigartigen Chance aus. Die Aufteilung in Frauen- und in Männerarbeit schien in Frage gestellt, denn die meisten Tätigkeiten ließen sich keinem Geschlecht zuordnen. Gut ein Drittel der bayerischen Arbeiterschaft war von Anfang an weiblich. Doch mit der Begründung, Frauen seien von der Hausarbeit eintönige Vorgänge gewohnt, wurden sie nur für anspruchslose Hilfstätigkeiten eingesetzt. 

Anfangs war die Textilproduktion einer der Schwerpunktbereiche. Bald aber waren Frauen auch in anderen Industriezweigen tätig, von der Zündholz- bis zur Porzellanfabrikation, von der Spielwarenfertigung über Elektrotechnik bis zur Herstellung von Spiegeln. Arbeitsschutz, etwa vor giftigen Dämpfen, gab es so gut wie nicht.

Selbst bei langjähriger Erfahrung bekamen Frauen wesentlich geringeren Lohn als Männer. Meist reichte dieser nicht einmal dafür aus, sich selbst zu versorgen. Arbeiterinnen blieben von Verwandten oder vom Ehemann abhängig. 
 

Echte Konkurrenz?

So bildete sich ein lange nachwirkendes Bild von weiblicher Berufstätigkeit heraus: Eine Frau sollte nur arbeiten, wenn sie unverheiratet war oder der Mann nicht genug verdiente. 

Wegen der ungleichen Bezahlung sahen männliche Arbeiter in Frauen zudem eine unliebsame, die Entlohnung drückende Konkurrenz. Diese Furcht war insofern berechtigt, als die einzelnen Arbeitsschritte immer weiter aufgegliedert und vereinfacht wurden. Somit gab es auch immer mehr Tätigkeiten, die Arbeitskräfte ohne Ausbildung – also vor allem Frauen – übernehmen konnten. 

Entsprechend schlecht gingen die Arbeiter mit ihnen um. Sie behandelten sie respektlos, beschimpften sie oder wurden übergriffig. Dies wiederum bremste Frauen dabei aus, in den männlich geprägten Gewerkschaften für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Erst das Einsetzen von Helene Grünberg als erster weiblicher Arbeiterinnensekretärin in Nürnberg schaffte etwas Abhilfe. An den Lebensumständen, denen vor allem verheiratete Arbeiterinnen unterworfen waren, konnten gewerkschaftliche Aktivitäten jedoch wenig ändern.
 

„In der Frühe um halb fünf Uhr stehe ich auf. Es beginnt zunächst die Hausarbeit. Das Essen für den Mittag wird gekocht, nebenbei werden die Betten gemacht, die Zimmer geputzt, Kaffee gekocht. Dann wird gefrühstückt, dann das Geschirr gewaschen, worauf ich mich (…) zur Arbeit begebe.“

Bericht einer verheirateten Augsburger Textilarbeiterin, 1928

Sowohl die gesellschaftliche Tradition als auch die geringeren Verdienstmöglichkeiten schoben Frauen, auch wenn sie Arbeiten gingen, die volle Last der Hausarbeit zu. Dabei wurden die Arbeitstage in den Fabriken mit Einführung der Gas- und später der elektrischen Beleuchtung zwischen 1850 und 1900 immer länger und oft in Schichten unterteilt. Die Anforderung, zu Hause für eine saubere Wohnung, gewaschene Wäsche und Verpflegung von Mann und Kindern zu sorgen, blieb trotzdem. 

Die Folgen dieser Mehrfachbelastung ließen nicht lange auf sich warten. Sie zeigten sich unter anderem in einer deutlich kürzeren Lebenserwartung der Mütter unter den Arbeiterinnen. Als jedoch der Staat Ende des 19. Jahrhunderts erste Anstrengungen unternahm, Arbeiterinnen unter besonderen Schutz zu stellen, hatte dies nicht nur das Wohl der Frauen zum Zweck. Erlassen wurden solche Vorschriften vor allem für Industriezweige, die männlich dominiert waren und von denen man Frauen fernhalten wollte. 
 

Mehr Geld, weniger Arbeit

Einen gangbaren Weg aus der vielfachen Überforderung zeigte erst die eingangs erwähnte Rosa Kempf auf. Sie forderte für Frauen sowohl eine deutliche Lohnerhöhung als auch eine Verkürzung der Arbeitszeit. Der Lohnerhöhung allerding maß sie größere Bedeutung bei. Sonst werde „die verkürzte Arbeitszeit dazu führen, dass (…) zu Hause (…) manches, was die Frau bisher um Geld besorgen lassen musste, jetzt wieder von ihr selbst verrichtet wird.“

Doch bis zu einer Besserung sollte es noch lange dauern. Der Erste Weltkrieg verstärkte die Belastung der Frauen noch, da sie nun auch die an der Front kämpfenden Männer ersetzen mussten. Mit Kriegsende wurde zwar ein Achtstundentag Gesetz. Eingefordert wurde er aus Angst um den eigenen Arbeitsplatz kaum. In den wirtschaftlich schwierigen 1920er Jahren wurde die Regelung dann ohnehin wieder ausgehebelt. Wirkliche Erleichterung für Frauen brachte erst die verbindliche Einführung des Achtstundentags nach dem Zweiten Weltkrieg und die Fünf-Tage-Woche, die sich in Westdeutschland ab 1965 durchsetzte. Die Angleichung der Löhne dagegen ist eine noch heute nicht vollständig gelöste Aufgabe.
 

Ausstellungstipp

Einer der Bereiche, die sich am stärksten auf weibliche Arbeitskräfte stützen, war die Textilindustrie. In der Dauerausstellung des Augsburger Textilmuseums lassen sich nicht nur historische Webstühle bestaunen. Gezeigt wird auch, wie radikal das Industriezeitalter letztlich binnen weniger Jahrzehnte das Leben der Menschen veränderte.

Weitere Infos zur Dauerausstellung finden Sie hier 

Quellen- und Literaturhinweise

Baetz, Michaela, Bennewitz, Nadja: „Kinder, Küche, Kantine?“ – Arbeiterinnen in der Industrialisierung. Hörbild, Schriftenreihe Forum Frauengeschichte, Bd. 1. Nürnberg, 2003

Kraus, Werner (Hrsg.): Schauplätze der Industriekultur in Bayern. Regensburg, 2006

Lüdtke, Alf (Hrsg.).: Mein Arbeitstag – Mein Wochenende. Arbeiterinnen verichten von ihrem Alltag 1928. Hamburg, 1991

Plößl, Elisabeth: „Ich gehe Tag für Tag an meine Arbeit“. In: Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit (Hrsg.): Frauenleben in Bayern von der Jahrhundertwende bis zur Trümmerzeit. München, 1993

Sommer, Karin: „… als ob ich ein Sträfling bin“: Frauenarbeit und Frauenalltag im Bayern der Weimarer Zeit. Manuskript zur Sendung „Land und Leute“ des Bayerischen Rundfunks am 14. Mai 1995