Dienstmädchen – zum Gehorsam verpflichtet
Während sich in anderen Bereichen längst soziale Reformen bemerkbar machten, schufteten Dienstmädchen noch bis 1918 rund um die Uhr. Erst die Umbrüche der 1920er Jahre und der technische Fortschritt brachten echte Erleichterungen.
Sehr wohl, gnädige Frau!
Als Tochter einer unverheirateten 17-Jährigen kam Berta Köckerannerl 1882 in Pocking im Rottal auf die Welt. Mit zehn Jahren wurde sie Vollwaise, konnte aber drei Jahre bei der Großmutter wohnen. Danach wurde sie, wie sie es selbst bezeichnete, „unter die Leute geworfen“: Sie musste selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen. Zunächst arbeitete sie in Niederbayern als Dienstmagd und Kindermädchen. 1898 dann zog es sie in die Stadt. In Salzburg nahm sie eine Stellung bei einem Brauerei-Mitarbeiter an. Sie pflegte dessen kranke Frau, versorgte die vier Kinder und wurde, nach dem Tod der Ehefrau, die Geliebte ihres Dienstherrn. Als sie ein Kind bekam, heiratete er sie. So wurde aus dem Dienstmädchen Berta Köckerannerl die „gnädige Frau“ Berta Pflanzl. Ihr Lebensweg ist deshalb so detailliert bekannt, weil ihr Enkel 2008 ihre Tagebücher veröffentlichte. In vielerlei Hinsicht spiegeln sie ein typisches Dienstmädchenschicksal im ausgehenden 19. Jahrhundert.
Die Städte rufen
Junge Frauen, die im späten 19. und im frühen 20. Jahrhundert als Dienstboten arbeiteten, kamen überwiegend vom Land und waren meist Töchter von Kleinbauern, Tagelöhnern oder Handwerkern. In den zu dieser Zeit rasch wachsenden Städten erhofften sie sich einen besseren Verdienst, mehr berufliche Möglichkeiten und die Aussicht, einen Städter heiraten zu können.
Der Bedarf an Dienstpersonal war, gerade in München oder Nürnberg, immens. Mittelständische Handwerkerfamilien, bei denen die Ehefrau häufig im Betrieb mitarbeitete, brauchten eine Dienstbotin als tatkräftige Unterstützung im Haushalt. In den meisten Fällen wurde sie dort fast wie ein Familienmitglied behandelt.
In bürgerlichen Haushalten dagegen gehörte es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beinahe schon zum guten Ton, zumindest ein „Mädchen für alles“ zu haben. Dieses erledigte den Großteil der Hausarbeit, versorgte die Kinder und ließ Besucher ein. Hier bekamen die Dienstboten den Standesunterschied zur „Herrschaft“ meist deutlich zu spüren.
Ein Überbleibsel des Mittelalters
Die Gesindeordnung räumte der Herrschaft fast unbegrenzte Rechte im Umgang mit ihrem Personal ein. Selbst die Regelung, die im Bayern des 19. Jahrhunderts galt, stammte im Kern noch aus dem Mittelalter – einer Zeit, in der Mägde und Knechte von ihren Herren völlig abhängig waren. Noch um 1900 arbeiteten Münchner Dienstmädchen 14 bis 15 Stunden am Tag. Gerade einmal die Hälfte von ihnen hatte am Sonntagnachmittag frei. Bei den meisten beschränkte sich der „Ausgang“ auf wenige Stunden alle zwei Wochen.
Nicht einmal ein eigenes Zimmer stand ihnen überall zur Verfügung: Dienstmädchen schliefen oft bei den Kindern ihrer Herrschaft, im Bügelzimmer oder im Korridor. Von ihnen wurde erwartet, dass sie sich den Interessen der Familie, für die sie arbeiteten, komplett unterwarfen. Hierin liegt vermutlich auch einer der Gründe, warum sich viele kaum gegen sexuelle Übergriffe ihrer Dienstherren wehrten. Ein weiterer war die Angst vor dem Verlust der Stelle und das Fehlen von Institutionen, bei denen sie sich hätten beschweren können.
„Ein feines Dienstmädchen redet die Frau des Hauses nie mit ,Sie‘ allein an. Es erkundigt sich, wie die Hausfrau, der Herr des Hauses, die Familienmitglieder angesprochen werden sollten, ob mit gnädige Frau, gnädiger Herr, oder Frau Rat, Herr Rat (…) usw. Danach richte das Mädchen sich genau.“
Emy Gordon, „Die Pflichten eines Dienstmädchens“, erschienen 1894.
Ab den 1890er Jahren setzte sich die Frauenbewegung für viele soziale Verbesserungen ein – das Dienstbotenwesen blieb dabei jedoch meist außen vor. Ein Grund war, dass Dienstmädchen durch ihre extremen Arbeitszeiten kaum erreichbar waren. Außerdem hielten sich viele bürgerliche Aktivistinnen zurück, weil sie selbst auf Hauspersonal angewiesen waren.
Einen starken Impuls, um die Lage zu verbessern, gab es erst 1906. Die in Nürnberg tätige Arbeiterinnensekretärin Helene Grünberg rief dort die erste gewerkschaftliche Organisation für Dienstmädchen ins Leben. In den folgenden Jahren wurde sie zur treibenden Kraft einer deutschlandweiten Bewegung. Diese forderte die Abschaffung der Gesindeordnung, eine verbindliche Regelung der Arbeitszeit und abschließbare Schlafräume. Doch erst die gesellschaftlichen Umbrüche 1918/1919 brachten die Gesindeordnung zu Fall und machten geregelte Arbeitsverträge möglich.
Vom Dienstmädchen zur Zugehfrau
Dennoch blieben die Arbeitsbedingungen für Dienstmädchen auch in den 1920er Jahren hart und entsprachen selten dem, was im Arbeitsvertrag stand. Allerdings begann sich die Situation in den bürgerlichen Haushalten in diesem Jahrzehnt ohnehin zu verändern: Wirtschaftliche Krisen und Inflation führten dazu, dass die Mittelschicht verarmte. Selbst bürgerliche Frauen mussten ihre Statusvorstellungen aufgeben und arbeiten gehen. Ein Dienstmädchen hätte sich ein solcher Haushalt schlicht nicht mehr leisten können.
Zudem veränderten sich die Wohnungen: Sie wurden kleiner, und die Räume praktischer aufgeteilt. Speziell die Küche wurde nun exakt im Hinblick auf die dortigen Arbeitsabläufe hin eingerichtet.
Trotzdem konnten vor allem berufstätige Frauen ihren Haushalt nicht vollständig allein bewerkstelligen. An die Stelle des Dienstmädchens traten nun Zugehfrauen, die tageweise ins Haus kamen und putzten oder die Wäsche erledigten. Ein Prinzip, das sich letztendlich bis heute erhalten hat.
Veranstaltungstipp
Seit 1989 das 200-jährige Bestehen des Englischen Gartens gefeiert wurde, ist der Kocherlball wieder zu einer liebgewordenen Tradition geworden. Jährlich treffen sich an einem Sommersonntag Tanzwütige um fünf Uhr morgens bei Kerzenschein am Chinesischen Turm und drehen sich bei Landlern und Boarischen zur Blasmusik. Der Ursprung des Events liegt in den 1880er Jahren, als sich in der warmen Jahreszeit jeden Sonntag im Morgengrauen Dienstmädchen und Köchinnen, Hausdiener und Laufburschen zum Tanz trafen. Ab 1904 allerdings wurde dies wegen „Mangels an Sittlichkeit“ untersagt. Bei aller Romantik, die heute den Kocherlball begleitet, gerät jedoch gern aus dem Blick, dass die frühe Morgenstunde einst die einzige Möglichkeit für die Dienstboten war, sich für einige Zeit von ihren Arbeitsstätten zu entfernen.
Quelle- und Literaturhinweise
Pflanzl, Robert H. (Hrsg.): Berta Pflanzl – vom Dienstmädchen zur gnädigen Frau. Wien u. a., 2009
Plößl, Elisabeth: „Ich gehe Tag für Tag an meine Arbeit – Frauen in Landwirtschaft, Industrie und häuslichen Diensten um die Jahrhundertwende.“ In: Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit (Hrsg.): Frauenleben in Bayern von der Jahrhundertwende bis zur Trümmerzeit. München, 1993
Schröder, Rainer: Das Gesinde war immer frech und unverschämt. Gesinde und Gesinderecht vornehmlich im 18. Jahrhundert. Frankfurt, 1992
Sommer, Karin: „… als ob ich ein Sträfling bin“: Frauenarbeit und Frauenalltag im Bayern der Weimarer Zeit. Manuskript zur Sendung „Land und Leute“ des Bayerischen Rundfunks am 14. Mai 1995