Evakuiertes Flüchtlingsmädchen sitzt auf einem Wagen mit Essen in der Hand, 1947

Flucht und Vertreibung in der Nachkriegszeit

Wie viele Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg heimatlos geworden waren, ist heute kaum noch jemandem bewusst. Vor allem Frauen waren von diesem Schicksal betroffen und meisterten es mit Mut und Tatkraft.

Auf der Suche nach einer neuen Heimat

„Am anderen Ende des Rasens war eine Bühne aufgebaut (…). Reihen von Holzstühlen waren vor die Bühne gestellt. In den Gängen zwischen ihnen, auf den Stühlen und auf dem Gras standen, saßen, gingen, lehnten und lagen Hunderte spindeldürrer (…), blasser, skeletthafter und ausdrucksloser Gestalten, alle in Schwarzweiß – den gestreiften Uniformen der Konzentrationslager. Sie bewegten sich kaum, und wo sie es taten, geschah dies wie in Zeitlupe.“ So erinnert sich der ehemalige US-Soldat Robert L. Hilliard an das „Liberation Concert“, das einige KZ-Überlebende am 27. Mai 1945 in St. Ottilien vor Leidensgenossinnen und -genossen gaben. Mit ihrer Befreiung waren sie alle zu „Displaced Persons“, kurz „DPs“, geworden. Unter diesem Begriff fassten die westlichen Besatzungsmächte – US-Amerikaner, Engländer und Franzosen – alle Menschen zusammen, die aus ihrer Heimat vertrieben oder verschleppt worden waren. Im engeren Sinn galten ehemalige Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge als „DPs“.  

Jüdisches Leben mitten in Bayern

Für sie wurden in Kasernen, Sanatorien und Arbeitersiedlungen, vereinzelt aber auch in vormaligen KZs Lager eingerichtet. Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene konnten rasch in ihre Heimat zurückkehren. Den deutschlandweit 50.000 bis 75.000 jüdischen Überlebenden war das nur vereinzelt möglich: Oft waren ihre Wohnungen und Geschäfte durch den Krieg zerstört oder von anderen vereinnahmt worden. In den osteuropäischen Ländern schlug ihnen zudem unverhohlener Hass entgegen. Die dortige Feindseligkeit gegenüber Jüdinnen und Juden führte dazu, dass sich 1946 150.000 bis 200.000 Überlebende des Nazi-Terrors aus Osteuropa auf den Weg in den amerikanisch besetzten Teil Deutschlands machten. Die meisten wollten nach Palästina oder in die USA weiterreisen. Dies allerdings wurde erst ab 1949 möglich, als der israelische Unabhängigkeitskrieg zu Ende ging und die USA ihre Einwanderungsvorschriften lockerten. In den Jahren dazwischen entstanden unter anderem in Bad Reichenhall, Landsberg, Leipheim und Pocking selbstverwaltete Zentren jüdischen Lebens.

Heiratsboom und Kindersegen

Welchen Mut und Lebenswillen gerade auch die Frauen in den „DP“-Lagern entwickelten, beweisen die verblüffenden Geburtenzahlen. Während es dort in den ersten Monaten nur vereinzelt Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 17 Jahren gab und fast keine Kinder unter fünf Jahren, schnellte ihre Zahl ab 1946 steil in die Höhe. Denn nach der Befreiung war es zu einem regelrechten Heiratsboom unter den Überlebenden gekommen. Die danach einsetzenden Neugeborenenraten in den DP-Lagern waren zwischen 1946 und 1948 die höchsten auf der ganzen Welt. Doch nicht immer waren die nach jahrelanger Mangelernährung und Schikane ausgezehrten Frauen körperlich den Anforderungen von Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft gewachsen. Sie zu versorgen und zu unterstützen gehörte zu den wichtigsten Aufgaben der in den Lagern eingerichteten Krankenhäusern und -stationen. 1951, als die meisten Einzelpersonen und jungen Familien Deutschland verlassen hatten, wurden nahezu alle jüdischen DP-Lager aufgelöst.

„Ich wurde im wundersamen Babyboom der DP-Camps geboren. Meine Geburt, das Erschaffen einer neuen Generation, machte aus ihnen (den Eltern) eine richtige Familie und verstärkte ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft.“

Die Zeitzeugin Shoshana Bellen in einer Rede zur Eröffnung des Erinnerungsortes Badehaus im ehemaligen DP-Lager Föhrenwald, 2018

Neben jüdischen Überlebenden des Naziterrors aus Osteuropa erreichten ab 1945 zudem knapp zwei Millionen Menschen aus den ehemals deutschen Ostgebieten Bayern. Sie waren entweder noch vor Kriegsende vor den heranrückenden Truppen der Sowjetunion geflohen oder danach von der nicht-deutschstämmigen Bevölkerung vertrieben worden. Von einem solchen Schicksal betroffen waren vor allem Frauen. Sie waren bei Kindern und älteren Verwandten geblieben, während die Männer zum Kriegsdienst einberufen wurden und dann gefallen oder in Kriegsgefangenschaft geraten waren. Gerade in der Altersgruppe der 20- bis 40-Jährigen waren unter den Flüchtenden und Vertriebenen 45 Prozent mehr Frauen als Männer. Oft binnen weniger Stunden mussten sie Haus und Heim verlassen und sich mit Kindern und Alten auf eine Reise ins Ungewisse begeben. An deren Ziel erwartete sie bittere Not. In Bayern herrschte Nahrungsmittelknappheit und wegen der Kriegszerstörungen gab es kaum Wohnraum. 

Integration ist Frauensache

Manche Neuankömmlinge wurden zwangsweise in die Wohnungen von Einheimischen eingewiesen. Andere wurden in einem der 1.381 eilig eingerichteten Lagern untergebracht. Dort hausten die Menschen oft unter katastrophalen Bedingungen. Die einheimische Bevölkerung, die ebenfalls mit den Kriegsfolgen kämpfte, war den Neuankömmlingen gegenüber anfangs eher feindlich eingestellt.

Umso überraschender ist, dass deren Eingliederung binnen relativ kurzer Zeit gelang. Hierfür legten vor allem die Frauen das Fundament: In Abwesenheit ihrer Männer mussten sie Arbeit finden, um ihre Familien zu ernähren. Manche, wie die Waffelbäckerin Marlene Wetzel-Hackspacher, gründeten sogar eigene Firmen, die ebenso andere in Lohn und Brot brachten. Sie knüpften soziale Kontakte, bauten Selbsthilfeeinrichtungen auf und engagierten sich in Vereinen, kirchlichen Institutionen und Parteien. Auch diesem unermüdlichen Einsatz ist es zu danken, dass bereits 15 Jahre später die Geflüchteten und Vertriebenen – immerhin 20 Prozent der bayerischen Bevölkerung – nahezu vollständig integriert waren.  
 

Ausstellungstipp

Gleich mehrere Stränge der ungeheuren Bevölkerungsverschiebungen, die während und nach dem NS-Regime stattfanden, ruft der Erinnerungsort Badehaus ins Gedächtnis. Das von einem engagierten Verein ins Leben gerufene Museum steht mitten im Wolfratshauser Stadtteil Waldram. Er war erbaut worden, um Arbeiter und Zwangsarbeiter der nahen Rüstungsfabrik in Geretsried zu beherbergen. Von 1945 bis 1956 diente er als Fluchtpunkt für jüdische Displaced Persons. Ab 1956 wurden hier katholische Heimatvertriebene untergebracht. Die Dauerausstellung bringt den Besuchern diese verschiedenen Schichten bayerischer Geschichte eindrücklich nahe.

Weitere Infos zum Badehaus finden Sie hier

Quellen- und Literaturhinweise 

Antipow, Lilia u.a.: Ungehört – Die Geschichte der Frauen. Flucht, Vertreibung, Integration. München, 2024

Hilliard, Robert L.: Von den Befreiern vergessen – Der Überlebenskampf jüdischer KZ-Häftlinge unter amerikanischer Besatzung. Frankfurt, 2000

Prinz, Friedrich: Die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in Bayern. Versuch einer Bilanz nach 55 Jahren. Augsburg, 2000

Yad Vashem – Internationale Holocaust Gedenkstätte: Online-Ausstellung „Trotz alledem lebe ich – Jüdisches Leben in den DP-Lagern 1945 – 1956“, abgerufen am 17. März 2025

Ziegler, Walter: Flüchtlinge und Vertriebene. In: Historisches Lexikon Bayerns, aktualisiert am 15. November 2021, abgerufen am 17. März 2025