Stahlstich von einer Szene mit Hebammen, die ein Neugeborenes baden.

Frauen im frühen Mittelalter

Welche Rolle spielten Frauen vor dem Jahr 1000? Die Historikerin Irmtraut Heitmeier findet in den raren Zeugnissen dieser Zeit überraschende Antworten.

Kaum erwähnt und doch bedeutend 

Als Spezialistin für das frühe Mittelalter setzt sich die Historikerin Irmtraut Heitmeier mit einer Zeit auseinander, in der es noch keine gedruckten Bücher gab oder Abbildungen, die dem tatsächlichen Aussehen einer Person entsprochen hätten. Vor 1000 oder 1200 Jahren wurde nicht viel aufgeschrieben und von den wenigen Schriftstücken, die es gab, sind zudem viele verloren gegangen. Was aus dieser Zeit schriftlich überliefert ist, bezeichnen Historiker als Quellen. Das können Urkunden sein, Verträge oder Briefe, aber auch Texte von Geschichtsschreibern oder Erzählungen über das Leben von Heiligen. Aus manchen dieser Zeugnisse lässt sich herauslesen, welche Rolle Männer spielten und welche Frauen. 

Interview über die gesellschaftliche Stellung von Frauen im frühen Mittelalter 

Als Spezialistin für das frühe Mittelalter setzt sich die Historikerin Irmtraut Heitmeier mit einer Zeit auseinander, in der es noch keine gedruckten Bücher gab oder Abbildungen, die dem tatsächlichen Aussehen einer Person entsprochen hätten. Vor 1000 oder 1200 Jahren wurde nicht viel aufgeschrieben und von den wenigen Schriftstücken, die es gab, sind zudem viele verloren gegangen.

Was aus dieser Zeit schriftlich überliefert ist, bezeichnen Historiker als Quellen. Das können Urkunden sein, Verträge oder Briefe, aber auch Texte von Geschichtsschreibern oder Erzählungen über das Leben von Heiligen. Aus manchen dieser Zeugnisse lässt sich herauslesen, welche Rolle Männer spielten und welche Frauen.

Generell in der Geschichte stehen vor allem Männer im Rampenlicht. Frauen sind seltener sichtbar. Woran liegt das?

Von Menschen aus früheren Zeiten wissen wir nur etwas, wenn sie auf irgendeine Weise in Quellen genannt werden. Die Akteure in der mittelalterlichen Welt waren fast ausschließlich Männer. Deshalb treten sie in Urkunden oder Berichten über bestimmte Ereignisse vorrangig auf. Zugleich waren es aber auch Männer – in aller Regel Mönche und Priester –, die überhaupt schreiben und damit solche Quellen verfassen konnten. Trotzdem kommen Frauen vor, die selbständig über Besitz verfügten oder als Partei bei Rechtsgeschäften ausdrücklich genannt wurden. Diese Tatsache wurde lange zu wenig wahrgenommen. Sie ist zudem ein Beispiel dafür, dass es in der Forschung nicht nur darauf ankommt, was in einer Quelle steht. Es ist auch entscheidend, wer die Quelle liest. Bis in die 1960er Jahre hinein haben viele Historiker Erwähnungen von Frauen nicht weiter beachtet. Deshalb haben sie vom frühen Mittelalter ein einseitiges Bild gezeichnet: Sie stellten Frauen als rechtlos und unbedeutend dar. Das stimmt so pauschal aber gar nicht.

Wie war es wirklich?

Fangen wir in der ländlichen Lebenswelt an: Ein Bauernhof hätte ohne Frauen überhaupt nicht funktioniert. Natürlich verrichteten sie andere Arbeiten als Männer. Aber Frauen und ihre Aufgaben galten als gleichwertig. Mann und Frau wurden, wenn sie gemeinsam einen Hof bewirtschafteten, als ebenbürtige Einheit angesehen. Das zeigt zum Beispiel das „Urbar vom Staffelsee“. Dieses Verzeichnis, das vor dem Jahr 807 entstanden sein muss, listet den gesamten Besitz des Klosters St. Michael auf der Insel Wörth auf. Wir können ihm entnehmen, dass Frauen dort für die komplette Herstellung von Stoffen und daraus gefertigter Kleidung zuständig waren. Ihre Arbeit begann beim Anbau von Flachs, um Fasern für Leinen zu gewinnen, und der Aufzucht von Schafen für Wolle. Und sie endete mit dem Scheren der Schafe, dem Spinnen, Weben und schließlich Nähen. Frauen waren also auch Expertinnen für landwirtschaftliche Tätigkeiten, die später nicht als typisch weiblich galten. 

„Ein Bauernhof hätte ohne Frauen überhaupt nicht funktioniert. Natürlich verrichteten sie andere Arbeiten als Männer. Aber Frauen und ihre Aufgaben galten als gleichwertig.“

Irmtraut Heitmeier, Historikerin

Wurden die Frauen für diese Fertigkeiten auch entsprechend wertgeschätzt?

Davon können wir ausgehen. Die Menschen im Mittelalter hatten auf Frauen einen anderen Blick. Sie wurden nicht über ihr Geschlecht definiert, sondern allein über ihre Rolle im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gefüge. Darüber, ob sie Ehefrauen oder Nonnen waren, Bäuerinnen oder Herrscherinnen.

Wie sah die Stellung von adeligen Frauen aus?

Solche Frauen sind mehrmals sogar mit ihrem Namen in Quellen fassbar. Sie hatten auch Einfluss. Frauen standen zwar grundsätzlich unter der Vormundschaft ihres Mannes. Doch sie durften eigenen Besitz haben, den sie geerbt hatten oder am Tag nach der Hochzeit von ihren Ehemännern bekamen. Solche „Morgengaben“ dienten vor allem dazu, die Frauen wirtschaftlich abzusichern.

Spielten diese Frauen auch politisch eine Rolle?

Ehefrauen von Herrschern hatten aufgrund ihrer eigenen Herkunft oft ein weitverzweigtes Netzwerk. Dadurch waren sie gut informiert und konnten ihre Männer beraten. Ein Beispiel ist Kaiserin Kunigunde im frühen 11. Jahrhundert, die Mitbegründerin des Bistums Bamberg. Auch die bayerische Herzogin Liutpirc, die Frau des 788 gestürzten Herzogs Tassilo III., muss eine wichtige Rolle gespielt haben. Ein um 770/780 entstandener prachtvoller Kelch trägt am Fuß gleichrangig beide Namen des Paares und auch aus einer schriftlichen Quelle können wir schließen, dass Liutpirc einflussreich gewesen sein muss. Herrscherpaare wurden unter Umständen also durchaus als Einheit auf Augenhöhe wahrgenommen.

„Frauen im Mittelalter wurden nicht über ihr Geschlecht definiert, sondern über ihre Rolle im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gefüge.“

Irmtraut Heitmeier, Historikerin

Das heißt, Frauen konnten wirklich Macht haben?

Das wird in den Quellen immer wieder deutlich. Witwen von Herrschern bewahrten für ihre unmündigen Söhne manchmal über Jahre hinweg die Herrschaft. Zum Beispiel übte die Herzogin Judith im 10. Jahrhundert 11 Jahre lang für ihren Sohn Heinrich die Regentschaft aus, der beim Tod des Vaters gerade vier Jahre alt war. 

Dass Frauen Macht besaßen, kommt manchmal indirekt zum Ausdruck, etwa in der literarischen Charakterisierung als „böse Herzogin“. In der Lebensgeschichte des Heiligen Korbinian zum Beispiel, wird die Herzogin Pilitrud im frühen 8. Jahrhundert als „böse“ dargestellt. Sie schmiedete Intrigen und trachtete dem Heiligen nach dem Leben. Daraus ist zu schließen: Pilitrud besaß so viel Macht, dass man sie fürchtete.
 

Weil Sie gerade formelhafte Darstellungen erwähnen: Gibt es die auch im positiven Sinn, beispielsweise in Berichten über das Leben von Heiligen? Welche Ideale werden da entworfen?

Darin geht es natürlich zunächst um die christlichen Tugenden – Glaube, Liebe und Hoffnung. Sie werden von solchen Frauen in idealer Weise gelebt. Auffallend oft ist in Briefen an Nonnen aber auch zu lesen, dass sie mutig sein sollen. Manche werden nicht nur für ihre Tugend und Keuschheit gelobt, sondern für ihren „männlichen“ Geist. Auch dies ist möglicherweise näher an der Lebenswelt des Frühmittelalters, als wir lange angenommen haben. Das frühmittelalterliche Gesetzbuch der Bayern geht davon aus, dass eine Frau sich im Allgemeinen nicht mit Waffen verteidigen kann. Es enthält aber Regelungen für den Fall, „dass sie mit mutigem Herzen kämpfen will wie ein Mann.“ 

Über die Interviewpartnerin

Irmtraut Heitmeier forscht zur frühmittelalterlichen Geschichte Bayerns und des Alpenraums. Sie ist Mitglied des Instituts für Bayerische Geschichte der LMU München und Redakteurin beim Historischen Lexikon Bayerns sowie Teil des Wissenschaftlichen Beirats der Frauenorte Bayern.

Quellen- und Literaturhinweise

Goetz, Hans-Werner, Frauen im frühen Mittelalter, Weimar/Köln/Wien 1995