Porträtfoto: Elisabeth Brock. Sie hat weiße, kurz geschnittene Haare und trägt Brille, Pulli und Wollmantel in Rot.

Die bewegende Frau

„Ich war mein ganzes Leben Selfmade-Frau“, sagt Elisabeth Brock. Die Kemptenerin lebte in mehreren Ländern, unternahm abenteuerliche Reisen, zog drei Kinder groß, eröffnete einen Frauenbuchladen, gründete eine Frauenliste, wurde Stadträtin, startete als Übersetzerin durch. Der erste Teil ihres Lebens ist geprägt vom Immer-wieder-Aufbrechen. Und der zweite vom glücklichen Ankommen, daheim, im Allgäu – und im Feminismus: der Frauenbewegung, die ihr Leben bis heute „schöner macht“. 

Elisabeth Brock, Selfmade-Frau 

Elisabeth Brock kam 1945 in Kempten, Allgäu, zur Welt. Nach einer Ausbildung zur Krankenpflegerin und Stationen in England, Belgien, der Schweiz, Tunesien, Argentinien und Spanien kehrte sie Anfang der 1980er-Jahre mit Mann und drei Kindern in die Heimat zurück und wurde in der Frauenbewegung aktiv. In Kempten eröffnete sie 1984 mit einer Partnerin einen Frauenbuchladen. 1989 gründete sie gemeinsam mit Mitstreiterinnen die Kempt‘ner Frauenliste, die sie 20 Jahre lang im Stadtrat vertrat. Außerdem war sie unter anderem Mitbegründerin von pro familia Kempten, der Gruppe „Mütter mischen mit“ und der Selbsthilfegruppe „Frauen und Brustkrebs“.  

Porträtfoto: Elisabeth Brock.

Frauenpower hat viele Farben. Elisabeth Brock setzt in Kempten mit ihrer Lieblingsfarbe Rot Akzente – und macht seit den 80er-Jahren vor Ort die Rechte, Anliegen und vielfältigen Geschichten von Frauen sichtbar.  

Mit immer neuen Ideen und Initiativen trägt Elisabeth Brock bis heute dazu bei, dass in ihrem Heimatort die Rechte und Anliegen, die Schicksale und Verdienste von Frauen sichtbar gemacht werden. Sie organisierte Veranstaltungen zum Internationalen Frauentag (jedes Jahr am 8. März) und den Frauenstreiktag 1993 mit, holte Ausstellungen zu feministischen Themen nach Kempten und zeichnete verdienstvolle Frauen mit dem „Goldenen Apfel“ aus. Seit 1993 übersetzt Elisabeth Brock freiberuflich Fachliteratur für Pflege- und Gesundheitsberufe aus dem Englischen und Belletristik aus dem Spanischen; außerdem arbeitet sie als freie Lokaljournalistin. Als Feministin engagiert sich Elisabeth Brock für Gerechtigkeit und – auch finanzielle – Unabhängigkeit für Frauen, gegen Gewalt und Bevormundung, für die sprachliche Sichtbarkeit von Frauen und die Abschaffung des § 218.  

Freiheit! Abenteuer! Unbehagen. 

Eine Familie im Allgäu in den beginnenden 60er-Jahren, gutbürgerlich, katholisch. Der Vater Beamter, die Mutter Hausfrau, vier Töchter, ein Sohn. Elisabeth ist die Älteste; gerade hat sie die Mittlere Reife geschafft. Die Stimmung in der Familie ist liberal, die Eltern fördern alle Kinder gleichermaßen, ermutigen sie, ihre Pläne zu verwirklichen. „Meine Eltern haben mich nicht eingeschränkt, sondern ich mich selbst“, meint sie im Rückblick. Sie will Sinn stiften, entscheidet sich für eine Krankenpflege-Ausbildung. „Ein typischer Frauenberuf, ein dienender Beruf“, sagt sie heute. Damit bezieht sie sich nicht auf den Dienst an den Kranken, sondern auf die Stellung der Pflegekräfte gegenüber der damals überwiegend männlichen Ärzteschaft. 

Doch bevor Elisabeth zur Ausbildung nach Heidelberg zieht, nutzt sie den Freiraum, den ihre Eltern eröffnen und bricht in die Welt auf. 1961 – Elisabeth ist gerade 16 Jahre alt – geht sie für ein Au-pair-Jahr nach England; anschließend hängt sie ein freiwilliges Jahr für die Aktion Sühnezeichen in Belgien dran. „Ich wollte ins Ausland gehen, die Sprachen lernen“, beschreibt Elisabeth Brock ihre Motivation. „Doch was habe ich gemacht? 15 Freiwillige, alles junge Männer, haben ein Haus gebaut – und ich habe mich um den Haushalt gekümmert, gekocht und geputzt.“ Sie sei, setzt Brock ironisch hinzu, „den Küchenweg gegangen.“ Trotzdem, eine schöne Erfahrung. Die Freiwilligen, meist nicht mal volljährig, neugierig, voller Ideale, wohnen gemeinsam unter einem Dach. Sie kosten vom Erwachsensein, übernehmen Verantwortung und genießen ihre Freiheit fern vom Elternhaus. Nach dem Freiwilligenjahr schließt Elisabeth ein weiteres Au-pair-Jahr an, diesmal in Genf; danach geht sie an die Schwesternschule der Universität Heidelberg.  

Eine vage Sehnsucht bekommt einen Namen: Feminismus! 

Lange ausüben wird Elisabeth Brock den Pflegeberuf nicht. Die zweite Hälfte der 1960er-Jahre bricht an. Die junge Frau spürt ein Unbehagen; irgendetwas an der Gesellschaft fühlt sich nicht richtig für sie an, ungerecht. Die Frauenbewegung der 68er ist für Elisabeth Brock „wie ein Augenöffner.“ Ihre vage Sehnsucht gewinnt Kontur und einen Namen: Feminismus. 

Was ist Feminismus?

Feminismus strebt nach Selbstbestimmung, Freiheit und Gleichheit für alle Menschen, im Öffentlichen wie im Privaten. Er wendet sich gegen Frauenfeindlichkeit und Gewalt gegen Frauen. Schon gewusst? Der Feminismus will Frauen und Männer gleichermaßen von Rollenklischees (wie zum Beispiel: „starker Mann – „schwache Frau“) befreien. Frauen, die als Ingenieurin Karriere machen, sollen genauso anerkannt und gefördert werden wie Männer, die als Erzieher in der Kita arbeiten. Feminismus ruft zum gleichberechtigten Miteinander von Frauen und Männern auf.  

Allein durch Tunesien 

Doch zunächst und für lange Zeit trägt Elisabeth Brock den Feminismus nur in ihrem Herzen. Sie heiratet und geht nicht mit anderen bewegten Frauen für Gleichberechtigung und Selbstbestimmung auf die Straße, sondern mit ihrem Mann nach Tunis. Dort tritt er eine Stelle als Bibliothekar an der Nationalbibliothek Tunesiens an. Elisabeth Brock will nicht die klassische „Frau an seiner Seite“ sein. Dank ihrer Berufserfahrung findet sie einen Job in der Entwicklungshilfe. Mit einem VW-Bus fährt sie durch ganz Tunesien und sorgt für die gesundheitliche Betreuung der Entwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfer. Oft ist sie allein unterwegs. „Eine abenteuerliche Zeit“, sagt sie kurz und lächelt dabei. „Die Autopisten waren schlecht und holprig. Einmal ist einfach die Bustür abgefallen. Ich hab sie zum Auto zurückgeschleppt und bin weitergefahren.“  

Als „Anhängsel“ in Argentinien 

Und schon treibt der Beruf des Manns das Paar weiter, nach Buenos Aires, ins Argentinien zur Zeit der Militärdiktatur. Hier wird Elisabeth Brock reduziert „auf die Rolle der mitgebrachten Ehefrau, das stand sogar so in meinem Pass.“ Elisabeth Brock wehrt sich dagegen, „ein Anhängsel zu sein.“ Sie möchte eine bezahlte Arbeit außer Haus; doch sie scheitert an praktischen Hürden. Der Kinderwunsch des Paars erfüllt sich dagegen. Als sie keine leiblichen Kinder bekommen können, adoptieren sie ein zweijähriges Kind aus Bolivien. Elisabeth Brock ist jetzt Hausfrau und Mutter. „Und damit war die Gute mal wieder beschäftigt“, kommentiert Brock trocken.  

Als Elisabeth Brock Heimaturlaub in Kempten macht, adoptiert sie ein weiteres Kind, das als Frühchen auf die Welt gekommen war. Und später, die Familie Brock lebt inzwischen in Madrid, noch ein drittes Kind, aus Indien. Elisabeth Brock belegt Spanischkurse; das Paar führt ein reges gesellschaftliches Leben. Während des Franco-Regimes in Spanien stehen Frauen faktisch unter Vormundschaft ihres Manns. Nach dem Tod des Diktators und dem Übergang zur parlamentarischen Monarchie wird die Frauenbewegung im Land sichtbar. Elisabeth Brock möchte sich einer feministischen Gruppe anschließen. Immer wieder besucht sie den Frauenbuchladen in der Madrider Altstadt. Doch es gelingt ihr nicht, Kontakt zu den spanischen Feministinnen zu knüpfen. 

Vom Feminismus beflügelt 

In Madrid erfährt Elisabeth Brock, dass in Deutschland eine feministische Zeitschrift erscheinen soll, „Emma“ (wie: emanzipiert). Wie elektrisiert schließt sie ein Voraus-Abo ab; Anfang 1977 liegt endlich die erste Ausgabe in ihrem Briefkasten. Elisabeth Brock blättert und blättert: „Das war für mich so toll, die Emma hat die Finger in alle Wunden gelegt: die Abhängigkeit der Frauen, die Gefahren des Hausfrauendaseins, das öffentliche Frauenbild, die Männergewalt, das Nicht-ernst-genommen-Werden im politischen und gesellschaftlichen Diskurs ...“  

Feminismus ist die Einhaltung von Menschenrechten für Frauen. Feminismus ist Wind unter meinen Flügeln! Der Feminismus macht das Leben schöner, denn er stärkt das Selbstbewusstsein.

Elisabeth Brock zieht es zurück nach Deutschland. Sie will zurück zu ihren Wurzeln und in ihrer Heimat etwas Eigenes aufbauen. Mit der Familie kehrt sie nach Kempten zurück. „Wenn man lange weg war, ist eine kleine Stadt toll, auch für die Kinder.“ Doch Kempten brodelt auch vor Frauenpower. Anfang der 80er-Jahre entstehen in der Stadt ein Frauentreff und der Verein „Frauen helfen Frauen“, der ein Frauenhaus gründen will. „Das war fast eine euphorische Stimmung: ein autonomes Frauenhaus! In Kempten! Im Allgäu! Ich dachte: Ein Frauenbuchladen ist das, was wir hier jetzt noch brauchen.“ Gemeinsam mit einer Freundin setzt Elisabeth Brock 1984 die Idee in die Tat um. Mit ihrem Frauenbuchladen ernten die beiden Spott und Begeisterung, Aufsehen und Anerkennung. „Alles, was in der feministischen Szene in Deutschland Rang und Namen hatte, kam zu Lesungen“, berichtet Elisabeth Brock und Stolz schwingt in ihrer Stimme. Die Sprachwissenschaftlerinnen Luise F. Pusch („Alle Menschen werden Schwestern“) und Senta Trömel-Plötz, die Matriarchatsforscherin Gerda Weiler, die Biologin und Reiseschriftstellerin Carmen Rohrbach ...

Elisabeth Brock steht in der Kemptener Altstadt vor einer Buchhandlung.

Mit einem Frauenbuchladen begann 1984 Elisabeth Brocks eigener, feministischer Weg. Bis 2006 war sie hier aktiv. Den Buchladen gibt es noch, den Zusatz „Frauen“ hat er inzwischen abgelegt. Frauentreffpunkte sind Bücherläden aber sowieso: Rund zwei Drittel der Bücherfans in Deutschland sind weiblich. 

Elisabeth Brock steht vor einer Informationstafel mit dem Titel: Die letzte „Hexe“.

Elisabeth Brocks Mission: Frauen sichtbar machen. Lange setzte sie sich für die Erinnerung an Anna Maria Schwegelin ein. Die Dienstmagd aus Kempten wurde 1775 als letzte Frau in Deutschland als „Hexe“ verurteilt. Heute macht eine Info-Stele auf Kemptens Residenzplatz ihre Geschichte sichtbar. 

Elisabeth Brock in ihrem Arbeitszimmer. Sie blättert in einem dicken Ordner.

Elisabeth Brock pflegt ein umfangreiches Archiv. Seit Jahrzehnten sammelt sie Artikel zu feministischen Themen und legt sie fein säuberlich ab ... 

Nahaufnahme: Elisabeth Brock zieht einen Ordner aus einem Regal.

Von Beiträgen zur geschlechtergerechten Sprache bis zur Berichterstattung über § 218 StGB, der den Schwangerschaftsabbruch regelt.  

Elisabeth Brock steht vor einem Bücherregal. Sie hält ein großes, modern gestaltetes Buch in den Händen. Sie lächelt.

Kein Zufall: Wenn Elisabeth Brock in ihrer Sammlung feministischer Literatur stöbert, wird ihr Lächeln immer breiter.  

Eine Wandnische voller Bücher.

Seit 1993 arbeitet Elisabeth Brock freiberuflich als Übersetzerin. Ihr Können hat sie sich als Autodidaktin selbst angeeignet. Ihre Jahre als Hausfrau und die finanziell wenig ertragreiche Arbeit im Buchladen haben ihre Rente geschmälert; die Übersetzungsarbeit sichert bis heute ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit.  

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Elisabeth Brock ist knapp 40, als sie mit dem Buchladen ihr erstes eigenes Ding verwirklicht. Der Feminismus ist längst nicht mehr nur eine vage Sehnsucht. Sie spürt ihn als Wind unter ihren Flügeln. Neben Familie und Buchladen engagiert sie sich in der Kemptener Frauenszene, gemeinsam mit anderen Frauen gründet sie pro familia Kempten, einen Frauen-Notruf (Gewalt gegen Frauen: mehr erfahren), eine Selbsthilfegruppe für Frauen mit Brustkrebs ... Sie führt den „Goldenen Apfel“ ein, eine Auszeichnung für engagierte Frauen in Kempten. Und sie reicht beim Stadtrat eine fünf Seiten starke Vorschlagsliste für die Benennung von Straßen ein, darauf (natürlich) ausschließlich die Namen bekannter und fast vergessener Frauen.   

„Was brauchen, was wollen Frauen?“ 

In einem Beitrag für das Lesebuch „Allgäuerinnen“ (Barbara Lochbihler, Sabine Schalm 2013) lässt Elisabeth Brock die berauschende Stimmung der frühen 1980er-Jahre aufleben. Die Gründungsmütter des Frauentreffs kamen zusammen „und fragten sich: Was brauchen, was wollen Frauen? Ein breites Themenspektrum eröffnete sich. Es ging um praktische Hilfen, die Treffen waren informell, die Entscheidungen spontan, der Enthusiasmus groß ... Damals herrschte Aufbruchsstimmung – 5000 Jahre Patriarchat waren einfach genug, nun sollte sich die Situation grundlegend verändern. Der Frauentreff, misstrauisch beäugt und von vielen abfällig `Emanzenverein´ genannt, irritierte nicht wenige ...“ 

Was Frauen brauchen und wollen, will Elisabeth Brock auch in der Kommunalpolitik zum Thema machen. 1989 gründet sie gemeinsam mit anderen die Kempt‘ner Frauenliste. Ihr Ziel: Den Anteil und die Sichtbarkeit von Frauen im Stadtrat steigern. „Wir dachten damals: Die warten nur auf uns“, schmunzelt Elisabeth Brock. Das Wahlvolk kreuzt in den Wahlkabinen zwar nicht massenhaft die Frauenliste an. Doch eine Frau kann 1990 für die Liste in den Stadtrat einziehen: Elisabeth Brock. 

Am Tag ihrer Vereidigung im ehrwürdigen Sitzungssaal des Kemptener Rathauses stellte Elisabeth Brock auf jeden zweiten der 44 Stühle ein Plakat. Die Aufschrift: „Dieser Platz gehört einer Frau.“ Tatsächlich nahmen auf den meisten Stühlen aber Männer Platz. Heute, gut 30 Jahre später, liegt der Frauenanteil im Kemptener Stadtrat bei knapp 25 Prozent.

 

Den Kinofilm „Die Unbeugsamen“ (2020) über die Erfahrungen von Parlamentarierinnen in der Bonner Republik hat sich Elisabeth Brock mehrmals angeschaut. Die Dokumentation zeigt, wie Generationen von Politikerinnen aller Parteien sich seit 1949 gegen Spott, Hohn und Abwertung durch männliche Kollegen durchsetzen mussten. Elisabeth Brock findet sich in vielen Szenen wieder. Doch sie sagt auch: „Ich wurde vielleicht ignoriert und hinter meinem Rücken lächerlich gemacht. Es war eine recht frostige Umgebung. Aber irgendwie habe ich mir Respekt verschafft, von Anfang an.“ Aufzustehen und im Stadtparlament deutlich vernehmbar ihre Meinung zu vertreten: Das muss Elisabeth Brock erst lernen. Sie besucht Rhetorikkurse und gewinnt Sicherheit, kann sich mehr und mehr auf die Sache konzentrieren. Und schließlich springt der Funke von der Ein- (und später Zwei-)Frau-Liste in die anderen Fraktionen über. Die Frauen treffen sich zum „Hexenfrühstück“ und schmieden fraktionsübergreifende Anträge.  

Elisabeth Brock sitzt auf einem Konferenzstuhl in einem Sitzungssahl.

Elisabeth Brock im Rathaus: 20 Jahre lang war hier ihr Platz als Stadträtin der Kempt’ner Frauenliste.  

Elisabeth Brock steht vor einem großen, dunkel gehaltenen Gemälde. Es zeigt einen Würdenträger mit grauem Bart.

Als die erste Stadträtin der Frauenliste 1990 ins Kemptener Rathaus einzog, guckte so mancher Mann (wie hier einer von Kemptens früheren Bürgermeistern) entrüstet weg.  

Elisabeth Brock blickt zum Mann auf dem Gemälde und lacht.

Half aber nichts. „Wir haben als Kempt’ner Frauenliste ein Stück Kemptener Frauengeschichte geschrieben“, findet Elisabeth Brock. Diese Geschichte haben die Listenfrauen professionell dokumentiert und dem Kemptener Stadtarchiv übergeben. 

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„Mehr Frauen in politische und verantwortungsvolle Ämter?“ Ja! Aber der zweite Teil des Satzes fehlt. „Mehr Männer in die Care-Arbeit!“ Das höre ich viel zu wenig.

Gerechte Sprache und Leselust 

Seit Jahrzehnten setzt sich Elisabeth Brock auch für eine gerechte Sprache ein, in der Frauen genauso wie Männer nicht „mitgedacht“, sondern ausdrücklich und gleichberechtigt genannt werden. In der „Bürgerinnen und Bürger“ zur Mitgestaltung aufgerufen werden. In der die „Woche der Brüderlichkeit“ zur „Woche der Mitmenschlichkeit“ wird und die „Mannschaft“ im Frauensport zum „Team“. Ob als freie Mitarbeiterin beim Lokalblatt oder als Übersetzerin: Elisabeth Brock zieht die geschlechtergerechte Sprache durch, vermeidet aber wiederholte Paarbildungen – die reiche deutsche Sprache bietet genügend geschlechtsneutrale Varianten – sowie „die typografischen Faxen des Genderns“ und feiert die Leselust. Vorbei sind die Zeiten, als die Lokalzeitung berichtete, Elisabeth Brock sei zum „ehrenamtlichen Richter“ gewählt worden. Die Feministin beschreibt die Lage knapp und anschaulich: „Das generische Maskulinum hat seine besten Tage hinter sich. Das ist vorbei.“ 

40 Jahre später: und jetzt? 

Und heute? Die Kempt’ner Frauenliste ist Geschichte, „an Blutarmut verschieden“, wie Elisabeth Brock sagt, und auch, weil die Anliegen von Frauen inzwischen bei den anderen Parteien mehr oder weniger angekommen seien. Ihr einstiger Frauenbuchladen ist heute ein normaler Buchladen. Und die Frauenszene in Kempten? „In der Gründungsphase in den 80er-Jahren waren wir viele starke jüngere Frauen“, erinnert sich Elisabeth Brock. „Heute sind alle so alt wie ich.“ Den Internationalen Frauentag gestaltet heute die Gleichstellungsstelle der Stadt. „Inzwischen macht sich am 8. März auch eine Gruppe junger, radikaler Frauen lautstark bemerkbar. Das machen die pfiffig und toll. Manches finde ich übertrieben, aber das war bei uns damals ja genauso.“ Thematisch sieht Elisabeth Brock eine große Schnittmenge zwischen der Frauenbewegung der 1980er-Jahre und den jungen Feministinnen: „die gerechte Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit, die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, die öffentliche Ächtung von Gewalt gegen Frauen und der Belästigung von Frauen, die Tabuisierung der Menstruation ... Es sind leider noch die gleichen Themen wie in den 1980er-Jahren!“ 

Viele Ideen verwirklicht, manche Zeichen gesetzt 

Wenn Elisabeth Brock heute durch Kempten spaziert, kommt sie an Stationen ihres Wirkens vorbei und an den sichtbaren Erfolgen der Frauenbewegung. Ihr einstiger Frauenbuchladen. Das Frauenzentrum, in prominenter Lage zwischen Königsplatz und Rathaus. Die Stele auf dem Residenzplatz, die an die letzte als „Hexe“ verurteilte Frau in Deutschland erinnert. Straßen, die nach Frauen benannt wurden. Das kommunale Krankenhaus, in dem die Gruppe „Mütter mischen mit“ einst Mitspracherecht beim Bau und der Gestaltung der geburtshilflichen Abteilung forderte. Das Rathaus, in dem Elisabeth Brock 20 Jahre lang feministische Positionen sichtbar machte und vertrat. Und wenn sie die Allgäuer Zeitung aufschlägt, freut sie sich über die neue, frauengerechte Sprache: „Die ist wirklich gut lesbar.“   

Ich bin keine Top-Journalistin, keine preisgekrönte Übersetzerin, keine Buchhandels-Chefin mit zig Filialen geworden. Mit meiner Rente allein komme ich kaum hin; ich brauche meine Jobs. Ich habe nur gemacht, wonach es mich gedrängt hat. Sonst hätte ich mich beschnitten gefühlt.

Und persönlich? Elisabeth Brock lebt mit ihrem zweiten Mann zusammen. Oder eben nicht. Auf einem Grundstück stehen zwei miteinander verbundene Häuschen. Die beiden haben getrennte Haushalte, zwei Küchen, zwei Waschmaschinen. Wer Zeit hat, kocht. Früher musste sich Elisabeth Brock um Mann und Kinder kümmern. Nach ihrer Scheidung lebte sie eine Zeitlang allein. Heute genießt sie die Partnerschaft auf Augenhöhe und die gerechte Aufgabenteilung. Auch wenn es ihr, der unabhängigen Frau, manchmal schwerfällt, bei Computerthemen und handwerklichen Problemen um Hilfe zu bitten.  

Ich habe jetzt die besten Jahre meines Lebens. Meine Verpflichtungen suche ich mir selber aus. Mit einem Mann an meiner Seite, der meine feministischen Umtriebe nicht nur toleriert, sondern unterstützt. Viele Frauen fühlen sich ab einem gewissen Alter unsichtbar. Ich habe mich immer sichtbar gemacht!
Zitat von Klaus Wagner: „Die Festlegung auf die Rolle als Einkommensbeschaffer hat erhebliche Nachteile für den Mann.“

„... Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, muss das durchgezogen werden.“

Zitat von Klaus Wagner, Ehemann von Elisabeth Brock: „Wie engagiert Elisabeth Themen angeht, imponiert mir sehr.    Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, muss das durchgezogen werden.“

„Der Feminismus hat auch für den Mann große Vorteile, zum Beispiel, dass man sich Erwerbs-, Erziehungs- und Haushaltsarbeit teilt. In meiner Zeit als Berufsschullehrer habe ich fast immer Teilzeit gearbeitet. Dafür musste ich erhebliche Nachteile in Kauf nehmen und wurde zum Beispiel nicht nach meinen Fähigkeiten eingesetzt. Mein Rat an junge Männer: Überlegt euch, was ihr vom Leben erwartet, und entscheidet euch nach euren Vorstellungen und Wünschen!“

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Wenn der Mann (nachdem er den Schock überwunden hat, Privilegien abgeben zu müssen) auch nur ein bisschen nachdenkt, erkennt er, dass der Feminismus auch für Männer eine große Entlastung bringt.

Frau Brock, wie fühlt es sich für Sie an, Frau zu sein? 

In einem Esszimmer: Frau Brock sitzt lesend auf einer Eckbank.

„Oft in der Defensive zu sein. Immer darauf achten zu müssen, dass ich mich nicht verbiege. Dieses Grundgefühl: Ich bewege mich in einer Männerwelt und muss immer darauf schauen, dass niemand auf meine Rechte tritt.“ 

Was hat die Frauenbewegung bislang erreicht? 

Elisabeth Brock schaut lachend von ihrem Buch auf. Es trägt den Titel (englisch): „We are Feminists“.

„Das Recht auf bezahlte Tätigkeit. Das Recht auf finanzielle Unabhängigkeit – und damit die Freiheit, sich zum Beispiel aus einer gewalttätigen oder unbefriedigenden Beziehung zu befreien. Das Recht auf Selbstverwirklichung: meine Talente leben dürfen, ohne dass mir vorgeworfen wird, dass es auf Kosten der Familie geht.“ 

Elisabeth Brock: meine Botschaft! 

Frauen in Bayern! Sorgt für eure finanzielle Unabhängigkeit durch gut bezahlte Berufstätigkeit, zahlt auch in Familienzeiten in die Rentenversicherung ein, selbst wenn die Beiträge das Familienbudget schmälern. Nehmt Bevormundung und Herablassung nicht hin, erst recht keine Übergriffe. Nur keine Angst davor, sich auch mal unbeliebt zu machen. Die Beschäftigung mit Frauengeschichte und Frauenkultur macht Spaß, sie stärkt und bereichert.