Die Unermüdliche
Felicitas Hanne ist eine Frau, die nie still steht. Ihr Lebensweg ist geprägt von mutigen Entscheidungen, unkonventionellen Wegen und der Fähigkeit, immer wieder neu zu beginnen. Dabei hat sie nicht nur sich selbst, sondern auch das Leben vieler anderer Menschen nachhaltig geprägt. Heute, im Ruhestand, blickt sie mit Dankbarkeit und Stolz zurück – und bleibt dennoch offen für neue Abenteuer.
Alternative Lebensformen
Felicitas Hanne wuchs in einer katholischen Familie auf – zum Glauben hatte sie selbst jedoch lange keinen persönlichen Bezug. Der Wendepunkt kam in ihrer Schulzeit, als die heute 67-Jährige ein Referat über das Klosterleben im Mittelalter vorbereitete. Auf der Suche nach einem Gegenwartsbezug schrieb sie ein nahe gelegenes Kloster an und wurde zu einem Wochenende eingeladen. „Dieses Wochenende hat mich in der tiefsten Seele berührt“, erinnert sie sich. Dort begegnete sie Menschen, für die der Glaube mehr bedeutete als Rituale. Besonders beeindruckten sie die Schwestern: „Das waren alles wahnsinnig starke Frauen. Da habe ich mir gedacht: Das möchte ich auch sein!“, erzählt Felicitas Hanne. Sie setzte sich intensiv mit ihren eigenen Wünschen auseinander und entschied, ins Kloster zu gehen und eine Ordensschwester zu werden – eine Entscheidung, die in ihrem Umfeld für Überraschung sorgte: „Ich war damals auf der Suche nach alternativen Lebensformen – das war die alternativste, die ich finden konnte“, sagt sie mit einem Lächeln. Für Felicitas Hanne war es der Beginn eines prägenden Lebensabschnitts – der mehr als 23 Jahre dauern sollte.
„Als Ordensschwester Teil dieses Frauennetzwerks zu sein, war eine reiche Zeit, die meinen Blick auf die Welt für immer geprägt hat.“
Berufung und Bildung
Als Ordensschwester fand Felicitas Hanne nicht nur ihren Glauben, sondern auch ihre berufliche Bestimmung. „Ich habe eine Ausbildung zur Krankenpflegerin gemacht – obwohl ich mir das zuerst gar nicht vorstellen konnte“, berichtet sie. Die Idee für diesen Berufsweg kam von der Klosteroberin, die das Potenzial in ihr sah und sie ermutigte, diesen Weg zu gehen. Eine Empfehlung, für die Felicitas Hanne noch heute dankbar ist: Mit Freude und Hingabe widmete sie sich dieser Aufgabe, erweiterte ihre Qualifikationen um die Kinderkrankenpflege und schloss ein Studium der Pflegepädagogik in Osnabrück an. „Alles als Ordensschwester und mit großer Unterstützung der Gemeinschaft“, betont Felicitas Hanne. Die Zeit als studierende Ordensschwester war für sie eine besondere. „Ich war immer ein wenig die Exotin unter den Studierenden. Ich habe es geliebt!“, erzählt sie lachend. Ihre Diplomarbeit, eine empirische Untersuchung über das Sterben in katholischen Krankenhäusern, brachte dann ernüchternde Ergebnisse zutage: Es gab keinen Unterschied zu anderen Krankenhäusern. Diese Erkenntnis stellte Felicitas Hanne vor die Frage: „Wenn die katholische Kirche Krankenhäuser hat, die nicht anders sind als andere, warum haben wir sie dann?“

Ordensschwester und Pflegepädagogin: Felicitas Hanne fand im Kloster ihre berufliche Bestimmung.
Kurvige Pfade
Dieser Gedanke lies Felicitas Hanne nicht mehr los. Mit ihrer Ordensgemeinschaft beschloss sie, sich in der Hospizbewegung zu engagieren, und gründete das erste Hospiz in Niedersachsen – ein Pionierprojekt, das sie mit Leidenschaft aufbaute und leitete. Gleichzeitig wurde sie in den Generalrat der Ordensgemeinschaft gewählt, in dem sie viel Verantwortung übernahm und gleichzeitig versuchte, Veränderungen anzustoßen. Doch nicht alles ließ sich durchsetzen: „Ich habe viele Dinge gesehen, die ich nicht mittragen konnte, und dachte dann: Okay, du bist verantwortlich, dann ändere es. Daran bin ich letztendlich gescheitert“, blickt sie zurück. Nach 23 Jahren im Orden traf Felicitas Hanne eine der schwersten Entscheidungen ihres Lebens: Sie verließ die Gemeinschaft. „Es war ein langer Weg und ein Ringen mit mir selbst“, erinnert sie sich. Mit der Überzeugung, dass auch ein kurviger Pfad ein Weg ist, ging sie – und hat es nie bereut.
3 Fragen zur Rolle der Frau
Frauen sind klug. Frauen sind empathisch. Frauen sind leidenschaftlich und engagiert. Und sie haben die besondere Fähigkeit, mit Schwierigkeiten umzugehen.
Ich war mein Leben lang umringt von Frauen – da gab es keine Unterschiede. Mir ist aber sehr wohl bewusst, dass es anderen Frauen leider anders ergeht.
Netzwerke spielen eine große Rolle: Sie sind wichtig, um Ziele zu erreichen und sich wieder neu einordnen zu können. Niemand auf dieser Welt kann alles allein. Alle sind auf Hilfe und Unterstützung angewiesen. Das heißt nicht, dass eine Person schwach ist, sondern dass sie stark ist. Das zu erkennen, ist das Geheimnis für den Erfolg.

Dinge, nach denen Felicitas Hanne immer strebt: Veränderung, Herausforderung und Erfüllung.
Neue Vorhaben
Ihr Weg führte Felicitas Hanne zunächst in die Unternehmensberatung, wo sie mit frischem Blick und neuen Ideen überzeugte. Doch das Projektgeschäft erfüllte sie nicht – oft musste sie budgetbedingt aufhören, bevor ihre Visionen umgesetzt waren. Ein Wendepunkt kam überraschenderweise beim Einkaufen. „Ich war im Supermarkt, und da fiel mir die Süddeutsche Zeitung in die Hände“, erzählt Felicitas Hanne schmunzelnd. Beim Durchblättern entdeckte sie eine Anzeige mit der Überschrift „Pioniere gesucht“. „Da dachte ich mir direkt: Die suchen mich!“, erzählt sie. Kurzerhand bewarb sie sich und wurde Projektleiterin für ein neues Vorhaben – das Kinderhaus Atemreich. Mit Leidenschaft baute sie die Einrichtung auf, in der schwer kranken Kindern ein lebenswerter Alltag ermöglicht wird. Zunächst waren es nur sechs Kinder – und eine riesige Verantwortung. „Trotz oder gerade wegen all dem war es unglaublich bereichernd, diesen Kindern Freude und Normalität zu schenken“, erklärt Felicitas Hanne. Dabei ging es nicht darum, deren Leben möglichst zu verlängern, sondern jeden Tag so intensiv und erfüllend wie möglich zu gestalten. „Wie können wir das Leben prall füllen?“ war die zentrale Frage, die sie auch ihrem Team vermittelte.
„Ich gebe nicht auf. Also nicht so schnell. Und eigentlich fast überhaupt nicht.“
Stärke und Netzwerk
Natürlich gab es auch Herausforderungen, wie den ständigen Personalmangel oder die schwierige Bezahlung in Pflegeberufen. Doch Felicitas Hanne blieb pragmatisch: „Ich habe nie aufgegeben, aber ich wusste auch, wann ich Hilfe brauche.“ Netzwerke aufzubauen und sich Unterstützung zu suchen – sei es bei Gesellschaftern, Ministerien oder anderen Partnern – war für sie kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke. „Niemand kann alles alleine“, sagt sie überzeugt. Auch privat meisterte Felicitas Hanne Herausforderungen. Ihr Partner, der einen völlig anderen Arbeitsalltag hatte, musste sich an ihre ständige Verfügbarkeit und Rufbereitschaft gewöhnen. „Für ihn war es nicht immer einfach, aber wir haben gelernt, mit den Besonderheiten des anderen umzugehen und uns gegenseitig so zu akzeptieren, wie wir sind.“
Loslassen und weitergehen
Heute ist Felicitas Hanne im Ruhestand. Nach 24 Jahren Beziehung hat sie ihren Partner im vergangenen Jahr geheiratet und startet wieder in einen neuen Lebensabschnitt – ohne Arbeitsalltag. „Viele dachten, ich könnte nicht loslassen, aber ich konnte. Ich bin gegangen und war weg“, sagt sie mit einem Lächeln. Jetzt hat sie Zeit für all die Dinge, die früher zu kurz kamen: lange Fahrradtouren, Gartenarbeiten und „einfach das Leben genießen“. Nebenbei bleibt sie aktiv, entwickelt weiterhin Projekte und liebt es immer noch, Neues zu lernen. Der Blick zurück beschert Felicitas Hanne heute noch Gänsehaut. Besonders in Erinnerung blieb ihr aus ihrer Zeit im Kinderhaus Atemreich die Geschichte eines kleinen Mädchens. „Es kam zu uns als winziges Baby, voll beatmet, mit kaum einer Perspektive“, erzählt sie. Doch das Mädchen überraschte alle. Von der Zeichensprache, die es anfangs nutzte, wechselte es irgendwann zum Sprechen – schneller, als die Mitarbeitenden mithalten konnten. Heute ist dieses Mädchen nicht nur beatmungsfrei, sondern hat die Schule abgeschlossen und startet eine Ausbildung. „Solche Geschichten zeigen, wie viel möglich ist. Das bleibt für immer in meinem Herzen“, sagt Felicitas Hanne.