Die Zukunftsgewandte
Jasvin Bhasin entschied sich schon früh für einen Weg in der Tech-Branche. Als Frau mit Wurzeln im konkurrenzgeprägten Indien lebt sie vor, wie Widerstandsfähigkeit, Mut und visionäres Denken zu nachhaltigem Erfolg führen können – persönlich wie gesellschaftlich.
Neugier und Leidenschaft als Wegweiser
Schon als junges Mädchen interessierte sich Jasvin Bhasin für Mathematik und Physik. Ihre Studienwahl fiel deshalb auf das Ingenieurwesen – dort sah sie auch ihre größten Karrierechancen. „Dass ich als Frau in dieser männerdominierten Branche vielleicht doppelt so hart arbeiten muss, schreckte mich nicht ab“, erklärt sie. So ging sie nach dem Studium nach Bangalore. Die Metropole, in der sich global agierende Tech-Unternehmen angesiedelt haben, ist auch als indisches Silicon Valley bekannt. Drei Jahre lang sammelte Jasvin Bhasin dort Erfahrungen bei einem großen Tech-Unternehmen. Doch sie wollte mehr. Das trieb sie nach Hongkong für ein MBA-Studium und für ein Auslandssemester in die Schweiz. Schließlich landete sie 2013 mit einer Blue Card in Deutschland und tauchte in die hiesige Automobilbranche ein. Sie machte erneut die Erfahrung, wie Geschlechterrollen und gesellschaftliche Vorstellungen von Geschlecht das Miteinander und bestimmte Strukturen beeinflussen können.
„Es wird keine Überraschung sein, wenn ich sage, dass einem jungen Mädchen, das in Indien groß geworden ist, Resilienz und Durchhaltevermögen einfach im Blut liegen.“
Netzwerke, Sichtbarkeit und strategisches Handeln
Was Jasvin Bhasin auf ihrem Weg immer wieder deutlich wurde: Fachliche Kompetenz reicht irgendwann allein nicht mehr aus – das gilt vor allem für Frauen. „Vor allem wir Frauen müssen netzwerken und gemeinsam für uns und unsere Ziele einstehen“, erklärt sie. Für sie sind Sichtbarkeit und die richtigen Netzwerke entscheidend, um weiterzukommen. Mit Herzblut, Beharrlichkeit und strategischem Vernetzen überzeugte sie in einem von Männern dominierten Umfeld. Herausforderungen sieht sie stets als Gelegenheit, um persönlich zu wachsen. Das half ihr auch, als sie in Deutschland ohne Sprachkenntnisse ankam. Nach zahlreichen Absagen von Unternehmen aufgrund der Sprachbarrieren setzte sie sich das Ziel, schnell Deutsch zu lernen. „Das war für mich nicht nur wichtig, um im Job Fuß zu fassen, sondern auch, um mich selbst weiterzuentwickeln“, erklärt Jasvin Bhasin. Ihr Ehrgeiz zahlte sich aus: Sie bekam ihre erste Stelle in Deutschland in der Automobilbranche, in der sie in kurzer Zeit unternehmerische Verantwortung übernehmen, eine eigene Abteilung aufbauen und sich als unverzichtbare Spezialistin profilieren konnte.

Als Strategieberaterin hat Jasvin Bhasin viele digitale Transformationsinitiativen geleitet.
Lebenslanges Lernen als Prinzip
Ihr Weg ist vom Streben geprägt, immer wieder gezielt Kompetenzen zu erwerben, die ihre persönliche Marke stärken und sie einzigartig machen – über klassische Fachgrenzen hinweg. „Wer eine eigene Marke hat und sich mit seinen Fähigkeiten von anderen absetzen kann, wird auch unersetzbar“, erklärt sie ihre Motivation. Das rate sie auch anderen Frauen, vor allem in der Tech-Branche. Denn sie habe erlebt, dass Frauen in dieser doch noch männerdominierten Branche oft das Gefühl haben, sich mehr beweisen zu müssen als ihre männlichen Kollegen. „Frauen nehmen sich kritisches Feedback häufig zu Herzen. Der Druck, immer das Beste geben zu müssen, ist auf jeden Fall höher“, erzählt sie. Sie selbst habe bereits in ihrer Kindheit gelernt, ein „Nein“ nicht als endgültige Ablehnung zu sehen, sondern nur als ein „Nicht-Jetzt“. Sie empfiehlt Frauen einen positiveren Umgang mit Kritik und Zurückweisung. Diese sollten sie eher als Chance begreifen, um mehr über sich zu erfahren. „Durchhaltevermögen und die Bereitschaft, Dinge wiederholt zu versuchen, halte ich für zentrale Eigenschaften, um in der Tech-Branche erfolgreich zu sein.“
3 Fragen zur Rolle der Frau
Resilienz im Wandel. Die Fähigkeit, Komplexität nicht als Bedrohung wahrzunehmen, sondern als Spielwiese zu sehen. Ich glaube, das ist unsere größte Superpower.
In meinem Berufsleben gab es immer wieder Momente, in denen meine Ideen übersehen wurden – vermutlich, weil sie nicht ausreichend wahrgenommen oder gewürdigt wurden. Doch genau diese Erfahrungen haben meinen Blick geschärft: In jeder Hürde entdecke ich heute eine neue Chance, zu wachsen und andere mitzuziehen. Anstatt mich von Zweifeln bremsen zu lassen, nutze ich sie als Sprungbrett – hin zu kreativen Lösungen, sichtbarem Fortschritt und einem Arbeitsumfeld, in dem jede Stimme gehört wird. Ich setze auf Wirkung durch Handeln. „Show, don’t tell!“ ist mein Leitsatz.
Ich glaube fest daran, dass der Zusammenhalt unter Frauen keine Modeerscheinung ist, sondern eine echte Bewegung. Wenn wir unsere gemeinsame Kraft erkennen und ernst nehmen, können wir Veränderungen bewirken, die über Generationen hinaus wirken.
Neue Wege und Chancen
Während der Corona-Pandemie erlebte Jasvin Bhasin einen Wendepunkt in ihrem Leben, den sie rückblickend als glückliche Fügung betrachtet. „Bis dahin hatte ich immer damit gerechnet, eine klassische Karriere in großen Unternehmensberatungen zu verfolgen, vielleicht sogar bis zur Partnerin aufzusteigen“, erzählt sie. Doch die unerwarteten Umstände während der Pandemie inspirierten sie dazu, ihre beruflichen Pläne grundlegend zu überdenken. „Zukunftsweisende Themen wie Blockchain und Web3 rückten in den Fokus der Öffentlichkeit. Ich spürte einfach, dass es Zeit wurde, zu meinen beruflichen Wurzeln zurückzukehren“, erinnert sie sich. Von Miami über Toronto bis nach Lissabon und auch in Deutschland tauchte sie in die pulsierende Blockchain-Community ein und sammelte wertvolle Erfahrungen. Gleichzeitig stellte sie sich einer neuen Herausforderung: Sie wurde Mutter und nahm ihren Sohn kurzerhand mit zu internationalen Hackathons. Sie stellte fest, wie sehr sich das Verständnis von Technologie über die Jahre gewandelt hatte. Ihr Wunsch wuchs, ihre eigenen Impulse in die Technologielandschaft einzubringen und einen eigenen Think-and-Do-Tank zu gründen, also eine Organisation, die sowohl forscht und berät als auch praktisch arbeitet.
Unternehmertum als logische Konsequenz
Heute ist Jasvin Bhasin deutsche Staatsbürgerin und Gründerin von bridge.the.NEXT( ) – einem in München ansässigen Think-and-Do-Tank. Mit ihrer Arbeit unterstützt sie Unternehmen und die Gesellschaft dabei, mit Vorstellungskraft und Fakten potenzielle digitale Zukünfte zu entwerfen. Als Tech-Philosophin, Speakerin und Beraterin knüpfte sie dabei an ihre frühe Leidenschaft für Künstliche Intelligenz (KI) an, über die sie bereits als 20-Jährige ihre Abschlussarbeit schrieb. Heute sieht sie KI nicht mehr nur als Werkzeug, sondern als Katalysator für kollaborative Intelligenz – als Schnittstelle zwischen Gesellschaft, Wirtschaft und Technologie. Jasvin Bhasins Ziel ist es, gemeinsam neue, systemische Ansätze zu entwickeln. Der Schritt ins Unternehmertum war für sie dennoch mit Hürden verbunden. Sie merkte schnell, dass das Gründerinnen-Dasein in Deutschland anders wahrgenommen wird als zum Beispiel in den USA. Mit ihrer Situation als Selbstständige, die ihr nicht mehr die gewohnte finanzielle Sicherheit bot, musste sie sich erst arrangieren. Auch die bürokratische Seite der Selbstständigkeit war für sie neu und erforderte einiges an Aufwand. Besonders in dieser Zeit fand sie Rückhalt bei ihrer Familie, die ihr Mut zusprach und ihr zeigte, wie wichtig ein starkes „Support-System“ ist. Die entscheidende Frage lautete für sie schließlich nur noch: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“ Dieses Gefühl, am richtigen Punkt angekommen zu sein, trieb sie dazu, ihren eigenen Weg weiterzugehen.
„Ich will jede Frau dazu ermutigen, ihre Einzigartigkeit als Stärke zu sehen – eine Stärke, die zu neuen Ideen und Erfolgen führen kann.“
Technischer Fortschritt
In einem früheren Job als Systemingenieurin bei einem großen Tech-Unternehmen verfolgte Jasvin Bhasin mit, wie klassische Speichernetzwerke auf Cloud-Lösungen wie Google oder Amazon Cloud umgestellt wurden. Dieser technologische Wechsel zeigte ihr, wie existierende Arbeitsplätze und -gruppen plötzlich überflüssig wurden. Später, während ihrer Zeit in der deutschen Automobilindustrie Anfang der 2010er-Jahre, beobachtete sie einen Paradigmenwechsel, bei dem das Auto nicht mehr nur als Produkt, sondern zunehmend als rollender Computer betrachtet wurde – Stichworte wie autonomes Fahren und Elektrifizierung prägten die Branche. Diese Erfahrungen bestärkten sie in der Überzeugung, dass bei allen technischen Innovationen immer der Mensch im Mittelpunkt stehen muss. Heute sieht sie ihre Aufgabe nicht nur darin, Unternehmen dabei zu begleiten, KI technisch einzubinden. Als Tech-Philosophin sieht sie es vielmehr als ihre Mission, KI mit den Werten, Zielen und den Menschen innerhalb eines Unternehmens in Einklang zu bringen und eine Brücke zwischen Technologie, Sinn und Verantwortung zu schlagen. Besonders wichtig ist ihr dabei, Mitarbeitende auf allen Ebenen mitzunehmen. Und das bedeutet, ihnen die Angst vor dem Neuen zu nehmen und weniger Top-down-Strategien zu verfolgen.

Jasvin Bhasin ruft Frauen dazu auf, die digitale Arbeitswelt aktiver mitzugestalten.
Weibliche Potenziale
Für Jasvin Bhasin steht fest: Für Unternehmen liegt der größte Nachholbedarf darin, einen ganzheitlichen Blick für KI zu entwickeln. Zu oft würden neue Technologien nur in einzelnen Bereichen wie etwa Sales oder Marketing eingeführt, ohne das große Ganze zu betrachten. Für sie ist es entscheidend, alte Denkweisen aufzubrechen und neue Verbindungen zu schaffen, damit Technologie die Menschen stärkt, statt sie zu entfremden. Sie betont, dass das kritische Denken eine menschliche und nicht durch Technik zu ersetzende Stärke sei und die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine präge. Darüber hinaus sieht sie vor allem für Frauen neue Möglichkeiten, sich einzubringen. „Der fortschreitende Einsatz von KI eröffnet die Chance, die Maßstäbe für Leistungsbewertung neu zu definieren – hin zu mehr Gewicht für menschliche Fähigkeiten“, erklärt Jasvin Bhasin. Hieraus leitet sie ein großes Potenzial für Frauen ab. Diese sollten die Chance nutzen, die digitale Arbeitswelt aktiv mitzugestalten, und ihre „weiblichen Superkräfte“ wie Empathie und Kreativität einbringen, um Innovationen voranzutreiben. Für die Zukunft erwartet sie besonders von Gründerinnen Impulse, die helfen, den gesellschaftlichen Wandel und kommende Generationen im Blick zu behalten.