Ein klarer Blick für Unrecht

Man muss weder besonders alt noch besonders gebildet sein, um Unrecht zu erkennen. Doch es braucht offene Augen und eine gehörige Portion Mut, um etwas dagegen zu unternehmen – gerade, wenn es der Staat ist, der das Unrecht verübt. Maria Seidenberger war gerade einmal 17, als sie unter Lebensgefahr Inhaftierte des Konzentrationslagers Dachau unterstützte.

Die unerschrockene junge Frau war im kleinen Ort Hebertshausen aufgewachsen. Ihre Eltern waren gläubige Katholiken und Sozialdemokraten. Sie sprachen von Anfang an über das Unrecht, das das Regime anrichtete. Denn bereits 1933, kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, wurden die ersten Häftlinge ins Konzentrationslager Dachau getrieben, unmittelbar am Haus der Seidenbergers vorbei. 1938 wurde in dessen Sichtweite eine Außenstelle des Konzentrationslagers angelegt, die „Plantage“. Die Gefangenen dort konnten sich etwas freier bewegen. Einer von ihnen, der Tscheche Karel Kašák, durfte für seine Arbeit sogar einen Fotoapparat benutzen.

„Manche Sachen macht man, oder man macht sie nicht. Ich hab keine Zeit gehabt für die Angst.“ Maria Seidenberger in einer Dokumentation des Bayerischen Rundfunks, 2005

Briefe schmuggeln unter Lebensgefahr 

1944 nahm er Kontakt zu den Seidenbergers auf. Er bat die Familie, Briefe von Inhaftierten an deren Familien zu schicken. Und Maria sollte in dem Labor, in dem sie arbeitete, heimlich Fotos entwickeln, die er vom Inneren der Plantage gemacht hatte.

Obwohl darauf die Todesstrafe stand, übernahm die 17-Jährige diese Aufgabe. Auch als die Häftlinge kurz vor Zusammenbruch des Dritten Reiches auf gnadenlose Märsche getrieben wurden, hielt sie dies mit der Kamera fest. Die Fotos versteckte sie in den Bienenstöcken ihrer Eltern.

Nach Kriegsende ging Maria Seidenberger mit Karel Kašák nach Prag. Vermutlich erfuhr sie erst dort, dass der Mann, den sie inzwischen liebte, bereits eine Familie hatte. Dennoch blieb sie 14 Jahre lang in Tschechien, bevor sie in ihr Elternhaus zurückkehrte. 

Maria Seidenberger hielt ihr Handeln stets für selbstverständlich. 2005 musste sie überredet werden, dafür eine Auszeichnung anzunehmen. Seit ihrem Tod 2011 kommen immer wieder Menschen und legen nach altem jüdischen Brauch Steine auf ihr Grab.  

„Bei uns ist (…) vollkommen frei über alles geredet worden. Man hat nie gesagt, vor den Kindern darf man dies und das nicht sagen.“ Maria Seidenberger, zitiert von der Historikerin Sybille Krafft bei deren Rede zur Verleihung des Dachauer Preises für Zivilcourage, 2005

Quellen- und Literaturhinweise

Krafft, Sybille: Laudatio auf Maria Seidenberger. In: Stadt Dachau (Hrsg.): Dachau Preis für Zivilcourage 2005. Abrufbar unter www.dachau.de; abgerufen am 4.12.2024

Schröder, Susanne: Maria Seidenberger vermittelte zwischen KZ-Inhaftierten und ihren Familien. In: Evangelischer Presseverband für Bayern (Hrsg.): Sonntagsblatt – 360° evangelisch, 1. Juni 2024. www.sonntagsblatt.de, abgerufen am 4.12.2024