Flucht nach Konstantinopel
Um gesellschaftliche Regeln scherte sich Helene Böhlau nie. Als junges Mädchen hätte die Tochter eines Weimarer Verlagsbuchhändlers alles lernen sollen, was eine sittsame Ehefrau braucht. Doch sie setzte sich lieber an ihren Schreibtisch. 1881 erschien ein erster Band mit kurzen Geschichten. Beim Entfalten ihres Talents wurde sie von einem zunächst fast väterlichen Freund bestärkt: dem Privatgelehrten Friedrich Arndt. Oft war die junge Helene Böhlau bei ihm, seiner Frau und seinen vier Kindern zu Gast.
Als dieses Verhältnis in den 1880er Jahren in eine intensive Liebesbeziehung umschlug, war der Skandal vorprogrammiert. Friedrich Arndt, seine Frau und Helene Böhlau erwogen, zu dritt zusammenzuleben. Helene Böhlaus Eltern waren so entsetzt, dass sie die Tochter enterbten. 1886 floh das Liebespaar nach Konstantinopel. Friedrich Arndt trat zum Islam über. Dies ermöglichte es ihm, sich von seiner bisherigen Ehefrau zu trennen und mit seinem neuen Namen Omar al Raschid Bey Helene Böhlau zu heiraten.
„Sie lernt (…) zerstreut und hat nicht viel Gewalt über sich, (…) ein tüchtiges, wahres Urteil über Menschen und Dinge und (…) ziemlich viel Phantasie und Spielgeist, der für ihre Geschäfte störend ist.“
Helene Böhlaus Mutter Therese Böhlau über die 12jährige Helene
Erfolg als Schriftstellerin
Der Erfolg einiger Bücher Helene Böhlaus, vor allem die „Ratsmädelgeschichten“, ermöglichte dem Paar einen Neustart in München. 1895 kam Sohn Omar auf die Welt. Gleichzeitig veröffentlichte die Schriftstellerin nun neben reiner Unterhaltungsliteratur auch kritische Romane. Titel wie „Der Rangierbahnhof“ und „Halbtier!“ prangerten die unterdrückte Stellung der Frau in der Gesellschaft an. Dennoch schloss sich Helene Böhlau nie der Frauenbewegung an.
Ab 1900 begann sie ihren Ton zu mäßigen. Ihr Blick konzentrierte sich eher auf ihre innere Entwicklung als auf den Kampf um Gleichberechtigung. Auch der Kauf eines Hauses in Widdersberg steht für diesen Rückzug. Sie selbst nannte das Haus „das seidene Nest“. Es bot ihr Halt, als Fritz Arndt 1911 starb.
Das Schreiben behielt Helene Böhlau bis ins hohe Alter bei. Noch mit Anfang 80 veröffentlichte sie Erzählungen voller Lebensklugheit und leisem Humor. Dennoch wurde sie vergessen. In den letzten Jahren aber sind einige ihrer besonders kämpferischen Romane in Neuauflagen erschienen.
„Ich möchte arbeiten (…); aber nicht nur, um durch die Arbeit zu vergessen. Ich möchte denken und arbeiten und doch glücklich sein.“
Helene Böhlau im Roman „Herzenswahn“, erschienen 1884
Helene Böhlau: Der Rangierbahnhof, vollständige Neuausgabe, Berlin, 2016