Julie Kerschensteiner: Die Schulreformerin

Altmodischen Unterrichtsformen sagte Julie Kerschensteiner bereits als Lehrerin den Kampf an. Als sie mit nur 27 Jahren eine eigene Schule gründete, folgte sie einem offenen, lebendigen Konzept. In einem Internat am Ammersee, das sie mit ihrem Mann 1919 übernahm, setzte sie diesen Kurs weiter fort.

Ansicht Schondorf am Ammersee
iStock/BirgitKorber
Illustration Porträt Julie Kerschensteiner

Steckbrief

Name
Julie Kerschensteiner
Geboren
1878 in München
Gestorben
1950 in Schondorf am Ammersee
Wichtige Stationen
Zeitraum Tätigkeit
1905–1911:Gründung und Leitung der privaten Kerschensteinerschule für Mädchen
1912:Heirat mit dem Archäologen und Lehrer Ernst Reisinger, in der Folge Geburt von drei Kindern
1919–1954:Gemeinsam mit ihrem Mann Übernahme und Leitung des Süddeutschen Landeserziehungsheims Schondorf
Zeitalter
1920er Jahre
Wirkungsfeld
Bildung und Erziehung
Frauenort
Schondorf am Ammersee Kartenvorschau Schondorf am Ammersee

Eine Mädchenschule mit einem neuen Ansatz

Möglicherweise hatte sie bereits ihr Onkel mit dem Gedanken vertraut gemacht, dass Schule auch anders funktionieren kann, als man das Ende des 19. Jahrhunderts gewohnt war. Denn schon Georg Kerschensteiner suchte Wege abseits eines Unterrichts, bei dem ein strenger Lehrer vor sich hinredet, während verschüchterte Schüler zuhören. Auch seine Nichte, Julie Kerschensteiner, probierte frischere Unterrichtsformen aus, kaum dass sie ihre Ausbildung zur Lehrerin abgeschlossen hatte.

Mit nur 27 Jahren eröffnete sie in München-Schwabing eine eigene, private Mädchenschule. In kurzer Zeit wurde diese zur blühendsten Töchterschule der Stadt. Julie Kerschensteiner führte das Institut denkbar unbürokratisch und unterrichtete Kinder von Künstlern gratis oder zum halben Preis. Und sie bot viele künstlerische Wahlfächer an, beispielsweise Tanz oder das Modellieren mit Ton.

„Die Persönlichkeit der Kinder soll, soweit dies im Klassenbereich möglich ist, Berücksichtigung finden. Auch ist die Schule bestrebt, den Kindern bei allem Ernst der Arbeit das Leben zur Freude zu machen.“

Aus einem Prospekt der von Julie Kerschensteiner gegründeten Töchterschule

Neustart am Ammersee

1910 verliebte sie sich in den Archäologen Ernst Reisinger, der als Deutschlehrer neu an ihre Schule kam. Um sich verloben und heiraten zu können, legte sie 1911 die Schulleitung nieder.

Der Erste Weltkrieg bedeutete einen tiefen Einschnitt in Julie Kerschensteiners Leben. Ihr Mann wurde zum Kriegsdienst eingezogen und schwer verwundet. Kaum herrschte Frieden, fanden die Eheleute ein neues pädagogisches Projekt: Sie übernahmen das Süddeutsche Landeserziehungsheim Schondorf und bauten es zu einem Internat für 200 Schülerinnen und Schüler   aus. 1929 verwandelten sie es in eine gemeinnützige Stiftung. Beide blieben dort, um die Schule weiterhin zu leiten und zu unterrichten.

Die Nationalsozialisten setzten nach ihrer Machtübernahme alles daran, ihnen das Landschulheim zu entreißen, 1944 schließlich mit Erfolg. Julie Kerschensteiner starb sechs Jahre später, ihr Mann 1952. 

Das Internat, in das beide so viel Herzblut gesteckt hatten, besteht bis heute. Die zugehörige Grundschule ist seit 2015 nach Julie Kerschensteiner benannt.

„Julie Kerschensteiner war schon in jungen Jahren eine ganz in sich ruhende Persönlichkeit, deren Zauber sich niemand entziehen konnte.“

Lolo Kraus, eine ehemalige Schülerin, in ihrer Trauerrede auf Julie Kerschensteiner 1950

Quellen- und Literaturhinweise

Theisen, Hedwig: Julie Kerschensteiner (1878 – 1950). In: Landeshauptstadt München (Hrsg.): Frauenleben in München. München,2001, S. 65-67