Ingeborg Gersing: Die Unvoreingenommene

Die Lehrerin Ingeborg Gersing ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, dass ein Leben im Kloster nicht unbedingt mit einer Abkehr von der Welt einhergeht. 30 Jahre lang weckte sie bei ihren Schülerinnen ein ausgeprägtes politisches Bewusstsein und engagierte sich für eine Menschenrechtsorganisation.

Stadtansicht von Amberg
iStock/Mo-Jo-Lo
Illustration Porträt Ingeborg Gersing

Steckbrief

Name
Ingeborg Gersing
Geboren
1925 in Amberg
Gestorben
2019 in Amberg
Wichtige Stationen
Zeitraum Tätigkeit
1952–1960: Lehrerin an den beiden Gymnasien der Armen Schulschwestern in München
1960–1992: Lehrerin am später Dr.-Johanna-Decker-Schule benannten Gymnasium in Amberg
ab 1992:Übersetzerin bei der internationalen Leitung ihres Ordens in Rom
Zeitalter
1960er & 1970er Jahre
Wirkungsfeld
Bildung und Erziehung, Glaube und Religion
Frauenort
Amberg Kartenvorschau Amberg

Immer offen für politische Fragen

Eine Klosterschwester, die ihre Schülerinnen zu freiem und kritischem Denken erzog? Die schon Anfang der 1970er Jahre das Thema Umweltschutz in ihren Unterricht einbezog? Und die zu den Gründerinnen einer Ortsgruppe der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zählte? Das klingt mehr als ungewöhnlich. Und doch war Schwester Ingeborg Gersing eine Frau, die den drängenden Fragen ihrer Zeit völlig unvoreingenommen gegenüberstand.

Über ihr Leben vor ihrer Ankunft in der Oberpfalz ist wenig bekannt. Man weiß nur, dass sie ab 1952 Lehrerin an den beiden Gymnasien der Armen Schulschwestern in München war. 1960 wechselte sie an das Gymnasium dieses Ordens in Amberg und unterrichtete Deutsch, Geschichte und Englisch. Ihre Fähigkeiten und Sprachkenntnisse müssen außerordentlich gewesen sein. Denn zwischen 1962 und 1965 reiste sie immer wieder nach Rom, um das Zweite Vatikanische Konzil als Dolmetscherin zu unterstützen. 
 

„Ihr Gymnasiasten kennt die Welt zu wenig.“

Ingeborg Gersing zu einer Abiturklasse, 1971

Von der Lehrerin zur Dolmetscherin 

In Amberg war sie stets freundlich, ermutigend und umtriebig: Ihre Schülerinnen erinnern sich, wie sie Ingeborg Gersing durch ihre Berichte aus Rom über den Tellerrand hinausblicken ließ. Und sie erzählen davon, wie sie durch ihre engagierte Lehrerin gezielt an heikle Themen herangeführt wurden – den Kalten Krieg zwischen Ost und West, den politischen Hintergrund der damaligen Studentenunruhen oder die Ursachen für den Hunger in Afrika. Immer ging es Ingeborg Gersing darum, zu zeigen, dass jeder einzelne aufgefordert ist, sich einzubringen und das zu verändern, was ihm unrecht erscheint.

Als die ungewöhnliche Nonne 1992 aus dem Schuldienst ausschied, bedeutete das für sie noch lange nicht den Ruhestand. Noch mit 67 wurde Ingeborg Gersing erneut nach Rom berufen, um dort noch mehrere Jahre als Übersetzerin tätig zu sein.
 

„Von ihrer Menschenfreundlichkeit und sozialen Aufgeschlossenheit profitierten nicht nur Schülerinnen, Eltern, Kollegen und Kolleginnen, sondern auch Asylanten, politisch Verfolgte in vielen Ländern der Erde, einsame Alte in Heimen, Lernbehinderte und soziale Randgruppen (…). In großer Treue stand sie immer und unermüdlich allen bei, die ihrer Hilfe bedurften.“

Oberstudiendirektorin Schwester Maria Canisia Engl bei der Verabschiedung von Ingeborg Gersing 1992