Luise Kiesselbach: Die Pionierin der Sozialarbeit
Mit Mitte Vierzig wurde Luise Kiesselbach eine der ersten Frauen, die offiziell in der Armenpflege tätig sein durften. Wenig später zog sie von Erlangen nach München und engagierte sich in der Frauenbewegung. Sie gründete Kinderheime, ein Altenheim und den Paritätischen Wohlfahrtsverband in Bayern.


Steckbrief
- Name
- Luise Kiesselbach
- Geboren
- 1863 in Hanau
- Gestorben
- 1929 in Ebenhausen/Schäftlarn
- Wichtige Stationen
-
Zeitraum Tätigkeit 1884: Ehe mit dem früh verstorbenen Arzt Wilhelm Kiesselbach, Geburt zweier Kinder 1908: Berufung zu einer der insgesamt acht ersten Armenpflegerinnen Bayerns 1912: Umzug nach München, Leitung des Vereins für Fraueninteressen, ab 1919 Stadträtin - Zeitalter
- Frauenbewegung
- Wirkungsfeld
- Soziales
- Frauenort
-
München
Offener Blick für die Nöte der Benachteiligten
Als Luise Kiesselbach begann, sich für Frauenrechte zu engagieren, war sie Anfang Vierzig. Sie war mit einem früh verstorbenen Medizinprofessor verheiratet gewesen und hatte zwei Kinder großgezogen. Deshalb war sie, im Gegensatz zu vielen Mitstreiterinnen, keine Rebellin, sondern blieb dem klassischen, familienbezogenen Frauenbild verpflichtet. Dennoch wurde sie mit ihrer Tatkraft und ihrem offenen Blick für die Nöte der Benachteiligten eine zentrale Figur der Bayerischen Frauenbewegung.
Bereits mit ihrer Hochzeit 1884 war Luise Kiesselbach nach Erlangen gezogen. Ab 1906 steckte sie einen Großteil ihrer Kraft in die Gründung des dortigen Vereins Frauenwohl. Besonders energisch kämpfte sie dafür, Frauen in der Armenpflege zuzulassen. Dieser Bereich war bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich Männern vorbehalten. Dass solche Berufe heute oft als typisch weiblich wahrgenommen werden, ist eine späte Bestätigung der Argumente, die Luise Kiesselbach vor 120 Jahren vorbrachte.
„In ihrer Arbeit mit so vielen Menschen ist ihr der einzelne wichtig geblieben.“
Antonie Steiner, Sekretärin von Luise Kiesselbach, über ihre Vorgesetzte
Wegbereiterin der modernen Sozialarbeit
1912 ging Luise Kiesselbach nach München, um sich noch intensiver der bayerischen Frauenbewegung und der mit ihr verbundenen Sozialarbeit zu widmen. Sie übernahm den Vorsitz des Vereins für Fraueninteressen und engagierte sich unter anderem für die Gründung von Kinderheimen in München-Schwabing und Tutzing.
Nach der Einführung des Wahlrechts für Frauen kandidierte Luise Kiesselbach 1919 für den Münchner Stadtrat, dem sie bis zu ihrem Tod 1929 angehörte. Dieses Amt nutzte sie gezielt, um die Sozialarbeit in München noch weiter voranzubringen. Eines ihrer wichtigsten konkreten Projekte dieser Zeit war die Gründung eines wegweisend modernen Altenheims.
Einen weiteren Meilenstein setzte sie durch die gezielte Strukturierung sozialen Engagements. Ab 1922 versuchte sie, die in diesem Bereich tätigen Organisationen gleichberechtigt zu einem Paritätischen Wohlfahrtsverband zusammenzuschließen. Dies gelang ihr zunächst für Münchens Stadtgebiet, dann für ganz Bayern. Damit ebnete Luise Kiesselbach auch der Sozialarbeit in ihrer heutigen Form den Weg.
„Selten hat eine Frau so viel erstrebt, so viel geleistet, solch eine große Lücke hinterlassen.“
Aus einem Nachruf auf Luise Kiesselbach
Quellen- und Literaturhinweise
Berger, Manfred: Kisselbach, Luise. In: Maier, Hugo (Hrsg.): Who is who der Sozialen Arbeit. Freiburg, 1998, S. 300 – 301
Herwig-Lempp, Johannes: Luise Kiesselbach. In: Aner, Kirsten u.a. (Hrsg.): Sozial Extra, Bd. 33, Ausgabe 1/2009. Wiesbaden, 2009, S. 52
Schmidt-Thomé, Adelheid: Luise Kiesselbach – Kinder redete nicht, tut was. München, 2024