Marieluise Fleißer: Die Schonungslose

Als Schriftstellerin gelang Marieluise Fleißer in den 1920er Jahren der Durchbruch, obwohl in der Welt des Theaters Männer das Sagen hatten. Allerdings sorgten ihre drastischen Stücke für Skandale. Erst in den 1970er Jahren fand die Autorin die Anerkennung, die sie wirklich verdiente.

Stadtansicht von Ingolstadt
iStock/RudyBalasko
Illustration Porträt von Marieluise Fleißer

Steckbrief

Name
Marieluise Fleißer
Geboren
1901 in Ingolstadt
Gestorben
1974 in Ingolstadt
Wichtige Stationen
Zeitraum Tätigkeit
1920–1924:Studium der Theaterwissenschaft, erste Erzählungen, Bekanntschaft mit Bertolt Brecht
1926–1929:Uraufführung von „Fegefeuer in Ingolstadt“ und „Pioniere in Ingolstadt“ in Berln
ab 1968:Zusammenarbeit mit den Theatermachern Rainer Werner Fassbinder und Franz Xaver Kroetz
Zeitalter
1960er & 1970er Jahre
Wirkungsfeld
Literatur, Musik und Theater
Frauenort
Ingolstadt Kartenvorschau Ingolstadt

Durchbruch in einer Männerwelt

Wegschauen konnte Marieluise Fleißer nicht. Ihr Leben lang legte sie in ihren Erzählungen und Theaterstücken menschliche Abgründe offen. Oft zeigten sich diese in den Beziehungen zwischen Mann und Frau und spiegelten auch, was die Schriftstellerin in jungen und mittleren Jahren selbst erlebt hatte. 

1920 zog sie von ihrer Heimatstadt Ingolstadt nach München, um dort Theaterwissenschaft zu studieren. Auf einer Faschingsfeier lernte sie den Schriftsteller Lion Feuchtwanger kennen, der sie später mit dem Dramatiker Bertolt Brecht bekannt machte. Auch Marieluise Fleißer begann zu schreiben. Dabei rang sie um eine möglichst einfache, volksnahe Sprache.

Ihre Stücke allerdings waren keineswegs volkstümlich, sondern inhaltlich sehr drastisch. Die Uraufführung ihres ersten Dramas, „Die Fußwaschung“, das vom Theater kurz vor der Premiere in „Fegefeuer in Ingolstadt“ umbenannt wurde, bekam in Berlin großen Beifall. Doch in ihrer Heimatstadt galt sie von nun an als Nestbeschmutzerin.
 

„Ich war tief in den unteren Volksschichten und ihrer Umgangssprache vergraben, an einen anderen Ort konnte ich mich nicht versetzen. Da nahm ich die Umgangssprache als Spracherlebnis und versuchte, sie zu reiben, bis sie vor Lebendigkeit sprühte.“

Marieluise Fleißer rückblickend über ihren Sprachstil

Wiederentdeckung in den 1970er Jahren 

Dies wurde mit einem weiteren Stück, „Pioniere in Ingolstadt“ noch schlimmer. Bertolt Brecht hatte dafür gesorgt, dass die Uraufführung 1929 in Berlin zu einem Theaterskandal wurde. Der Ingolstädter Oberbürgermeister protestierte öffentlich, Marieluise Fleißers Vater erteilte ihr Hausverbot – ihre Karriere als Theaterautorin war zerstört. Trotz aller Schmähungen kehrte sie nach Ingolstadt zurück und heiratete 1935 den dortigen Tabakwarenhändler Bepp Haindl.

Da sie fortan in dessen Geschäft mitarbeiten musste, schrieb sie kaum noch. Trotzdem schaffte sie es, 1946 ihr auf bayerisch verfasstes Stück „Der starke Stamm“ zu vollenden. In den 1950er und 1960er Jahren entstanden weitere Texte. Die eigentliche Wende jedoch kam erst ab 1967: Die Schonungslosigkeit ihrer Werke inspirierte eine ganze Generation junger Theatermacher. Rainer Werner Fassbinder und Franz Xaver Kroetz verehrten Marieluise Fleißer, widmeten ihr Stücke und sorgten dafür, dass ihr Werk endlich wahrgenommen und wertgeschätzt wurde.
 

„Marieluise Fleißer (…) ist überhaupt der größte weibliche Schriftsteller des Jahrhunderts, für mich.“

Die Schriftstellerin Elfriede Jelinek 1995 in einem Interview

Quellen- und Literaturhinweise 

Wittmann, Doris: Marieluise Fleißer. In: Fränkische Bibliophilengesellschaft (Hrsg.): Bibliophiler Ortstermin. Ingolstadt, 2024

Reichert, Carl-Ludwig: Marieluise Fleißer. München, 2001

Häntzschel, Hiltrud: „Ich muss ins Dunkel fassen, wenn ich schreibe“ – die Widersprüche der Marieluise Fleißer. Manuskript zur Sendung „Land und Leute“ des Bayerischen Rundfunks am 22. November 2001